Gorian 2
verwandelten. Und das Gefühl einer Kälte, die nichts mit der von Gestein oder Eis oder einer unfreundlichen Witterung gemein hatte. Es war eine schauderhafte Seelenkälte, die Gorian daran erinnerte, als er nach dem Kampf am Speerstein von Orxanor dem Tod näher gewesen war als dem Leben.
Dass ihn Ar-Don damals gerettet hatte, verstärkte das Gefühl der Verpflichtung, das er gegenüber dem Gargoyle empfand.
Eines Tages suchte er Fentos Roon auf. Es war gar nicht so einfach, mit ihm zu sprechen, ohne dass jemand anderes, allen voran Centros Bal, in der Nähe war. Doch das, was Gorian mit dem Zweiten Greifenreiter zu bereden hatte, ging sonst niemanden etwas an.
Fentos Roon war gerade damit beschäftigt, dem Greifen mit einem langstieligen Besen den Schnabel zu putzen, was sich die gewaltige Kreatur erstaunlich bereitwillig gefallen ließ. Centros Bals Greif und seine Gondel befanden sich nach wie vor in der großen Einflughöhle. Nicht alle Greifen waren so gut erzogen wie der des Nordfahrers. Immer wieder dröhnte irgendwo ein Schrei dieser Kreaturen, und dies so laut, dass die gesamte Höhle zu erzittern schien und man für einige Momente sein eigenes Wort nicht verstehen konnte.
»Bist du zufällig gekommen, um mir zu helfen?«, fragte Fentos Roon, während er mit dem Besen an dem geöffneten Schnabel herumschrubbte. Schon in Gryphenklau war Gorian diese Vorgehensweise aufgefallen. Nach dem, was er gehört hatte, tat man es, um Ablagerungen zu vermeiden, die den Schnabel ansonsten langsam zerfraßen, was dann den Greifen in den Wahnsinn trieb. Da dies bei älteren, wildlebenden Greifen immer wieder vorkam, kannte das Gryphländische
die Redewendung »Verrückt wie ein alter Greif mit faulem Schnabel«.
»Eigentlich bin ich hier, um dich um Hilfe zu bitten«, erklärte Gorian.
Centros Bals Zweiter Greifenreiter ließ den Besen sinken. Der Greif klappte den Schnabel mit lautem Klackern zu und schnaufte, so als wollte er seinen Unmut wegen der Unterbrechung kundtun.
»Eigentlich sollte mir Zog Yaal helfen, aber der ist ein fauler Hund«, beschwerte sich Fentos Roon. »Er drückt sich, wo er kann, dabei hat er ohnehin kaum was zu tun.«
Gorian ging nicht auf Fentos Roons Gejammer ein, sondern forderte: »Ich möchte, dass du mir zeigst, wie man mit einer Seilschlange umgeht.«
Fentos verengte die Augen zu Schlitzen, und eine tiefe Falte erschien auf seiner Stirn. »Was hast du vor?«
»Es gibt keine Möglichkeit, aus Felsenburg heraus und in die Berge zu gelangen, außer mit einem Greifen.«
»Wenn du in die Berge willst, lass dich von meinem Herrn dort absetzen. Der Greif muss sich sowieso regelmäßig bewegen.«
»Nein, das geht nicht«, widersprach Gorian. »Thondaril sollte möglichst nichts erfahren, aber das würde er in diesem Fall.« Er überlegte einen Moment, dann entschied er, Fentos Roon auch noch den Rest zu offenbaren. »Ar-Don wird irgendwo in einer der Schluchten gefangen gehalten. Torbas und ich wollen ihm helfen.«
»Ihr wollt euch mit Seilschlangen aus Felsenburg abseilen?«, fragte Fentos Roon erschrocken und vergaß danach, den Mund wieder zu schließen.
»Nicht nur das. Wir brauchen sie auch, um in die Tiefe der dunklen Schluchten zu gelangen.«
»Dorthin, wo die Fledermenschen hausen?«
»Hilfst du uns?«
Fentos Roon atmete tief durch. »Das ist nicht so einfach, wie ihr beiden vielleicht denkt. Mit Magie hat das nämlich nichts zu tun. Man muss mit den Seilschlangen reden. Sie hören auf leises Flüstern, denn ihre Ohren sind empfindlicher, als man es sich vorzustellen vermag. Und man darf sie nicht verstimmen.«
»Das kann so schwer nicht zu lernen sein«, gab sich Gorian überzeugt, seine Ungeduld mühsam unterdrückend.
Fentos Roon kratzte sich am Kopf, schien noch etwas unschlüssig, wie er sich verhalten sollte. Der durchdringende Schrei eines anderen Greifen entband ihn für einige Augenblicke von einer Antwort.
»Ich komme mit euch«, erklärte er dann. »Anders geht es nicht.«
»Wirst du nicht Ärger mit Centros Bal bekommen?«
»Natürlich. Aber das nehme ich in Kauf, und sein Zorn wird sich auch wieder legen. Er weiß ganz genau, was er an mir hat, und wird mich nicht einfach so aus seinen Diensten entlassen. Dieser Gargoyle hat dich zurückgebracht, als du mehr tot als lebendig warst. Er hat dich gerettet. So jemanden darf man nicht im Stich lassen, selbst wenn es sich um eine derart hässliche Kreatur wie ihn handelt.«
Es war nach Mitternacht, als
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