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Gorian 2

Gorian 2

Titel: Gorian 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Bekker
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überwiegend stummen Wächters. »Mein Diener war so freundlich, alles dort hineinzupacken, was wir zu den Inseln der Caladran mitnehmen müssen.«
    Gorian starrte auf den Leichnam des Dieners, der sich rapide veränderte und innerhalb weniger Augenblicke um Jahrzehnte alterte. Die Haut wurde faltig und erinnerte an brüchiges Pergament, die Haare wurden schlohweiß, und schließlich saß ein dem Aussehen nach hundertjähriger Greis auf dem Stuhl vor Gorian. Doch der Verfall schritt noch weiter fort, die pergamentartige Haut platzte auf, darunter kamen bleiche Knochen zum Vorschein, doch selbst die zerfielen zu Staub.
    »Dies ist ein magischer Ort mit einer ganz besonderen Aura«, sagte der Namenlose Renegat. »Ich habe ihn mit Bedacht gewählt, um hier die gestohlenen magischen Schriften aufzubewahren. Keine dieser Schriften soll schließlich verschimmeln oder auf andere Weise Schaden nehmen. Mit Unterstützung der Caladran-Magie und der Heilkunst lässt sich die Aura Felsenburgs dafür nutzen, Dinge zu erhalten, und zwar weit über ihre Zeit hinaus, gleichgültig ob Schriften, Seelen oder Körper.«
    »Ihr habt Euch eine Horde untoter Diener herangezüchtet, deren Zeit längst vorbei war!«, hielt Gorian dem Namenlosen Renegaten erschüttert vor. »Allen voran Oras Ban, den Königlichen Verwalter!«

    »Ich gab ihnen Leben, sie mir ihre Loyalität. Willst du behaupten, das wäre kein ehrlicher Handel gewesen?«, entgegnete der Namenlose Renegat, wobei ein mattes Lächeln um seine dünnen Lippen spielte. »Abgesehen davon hätte ich mich nur ungern auf eine lange Reihe entscheidungsschwacher gryphländischer Könige verlassen, von denen gewiss ein halbes Dutzend bereit gewesen wäre, mich oder meine Schriften oder beides für Gold oder Einfluss den Caladran auszuliefern oder sonst wem zu verschachern.«
    »Ich verstehe«, murmelte Gorian. »Und jetzt lasst Ihr Eure Gefolgsleute zum Sterben zurück.«
    »Ich habe keine Wahl«, erwiderte der Namenlose Renegat. »Ich würde nicht so handeln, gäbe es eine andere Möglichkeit. Und davon abgesehen hat jeder von ihnen – Oras Ban eingeschlossen – mehr Leben bekommen, als ihm die Natur jemals zugestanden hätte. Manche von denen, die hier als Wachen dienen, waren todkrank oder schwer verletzt, doch ich habe sie geheilt und ihre Leben über das natürliche Maß hinaus verlängert. All jene, die ich jetzt zurücklasse, sollten mir dankbar sein, doch Dankbarkeit ist nicht die Stärke des Menschenvolks. Sie sind unersättlich und schwach, und beides macht sie anfällig für Wesen mit stärkerem Willen.«
    »Wesen wie Morygor«, sagte Gorian.
    »Ich sehe, du verstehst mich, obwohl ich das aufgrund deiner Jugend kaum für möglich hielt.«
    »Es ist nicht leicht, der Aura Morygors zu widerstehen, wie ich aus eigener Erfahrung weiß«, gestand Gorian ein.
    »Ja, und nun frage dich selbst einmal, ob du diesem Einfluss hättest widerstehen können, hätte man dich vor die Wahl zwischen Weiterexistenz und Tod gestellt.« Der Namenlose trat an Gorian heran und sah ihn mit stechendem
Blick an. »Die Wahrscheinlichkeiten der Schicksalslinien verändern sich. Wege, die sich vor kurzem sehr deutlich abzeichneten, verlieren sich im Nebel. Vielleicht ist es die Kraft Morygors, die dies bewirkt. Er beeinflusst den Schattenbringer, aber vielleicht beeinflusst der Schattenbringer auch die Ereignisse auf Erdenrund. Hör mir gut zu, wir müssen aus Felsenburg fliehen, denn Oras Ban wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Seite unserer Feinde schlagen.«
    »Seid Ihr sicher?«, fragte Gorian.
    »Wenn er es nicht tut, dann jemand aus seinem unmittelbaren Umkreis, davon bin ich überzeugt. Morygor kann ihnen genau das geben, wonach sie dürsten: Leben!«
    »Aber das ist kein wirkliches Leben«, gab Gorian zu bedenken. »Es ist die Scheinexistenz der Untoten.«
    »Es ist mehr, als ich ihnen bieten kann, Gorian.« Der Namenlose deutete wieder auf die Metallkiste und hob sie mit seiner Magie vom Boden. »Das hier muss in die Greifengondel, mit der ihr gekommen seid. Wir müssen uns beeilen, denn die Verräter werden sich in Kürze entscheiden, auf Morygors Seite zu wechseln.«
    Der Namenlose Renegat erkannte die Möglichkeiten der Zukunft offenbar auf ähnliche Weise wie Morygor. Allerdings bezweifelte Gorian, dass er es in dieser Kunst annähernd zu jener Meisterschaft gebracht hatte, wie sie der Herr der Frostfeste erlangt hatte.
    »Wie weit und wie sicher seht Ihr die Zukunft voraus?«,

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