Gorian 2
Grabenbruch«, fuhr der Maskierte fort. »Es sind sehr viele. Sie schweben in der Luft wie ein Schwarm von Insekten und scheinen auf
jemanden oder etwas zu warten, der oder das ihnen Richtung und Ziel angibt.«
»Schattenreiter …«, murmelte Gorian. Er erinnerte sich nur zu gut an ihren ersten Angriff auf den Hof seines Vaters, als sie über das Meer gekommen waren, um ihn zu töten. Der Gargoyle Ar-Don war ihr Begleiter und ihr Mordwerkzeug gewesen. Untote Seelen von ehemaligen Schwertmeistern waren sie, die im Kampf gegen Morygor gefallen waren und die der Herr des Frostreichs in seine Dienste gezwungen hatte.
»Was hindert sie daran, uns nach Westreich zu folgen?«, fragte sich Gorian laut. »Morygor weiß mit Sicherheit, wie er uns finden kann.«
»Vielleicht erwarten sie noch irgendeinen der Frostgötter, den Morygor auf uns hetzen will«, vermutete Thondaril. »Oder er will einfach den richtigen Zeitpunkt abpassen, der sich aus seinen Berechnungen der zukünftigen Schicksalsmöglichkeiten ergibt.«
»Er sucht Verbündete«, widersprach der Maskierte.
Meister Thondaril wirkte verblüfft, auf seiner Stirn bildeten sich tiefe Falten. »Was für Verbündete? Morygor kennt nur Diener und Sklaven. Er schätzt die Gefolgschaft von Abhängigen und Untoten, deren Widerstandsgeist erloschen ist. Auch die Frostgötter und sonstigen Kreaturen, die er nun schon seit hundertfünfzig Jahren durch das Weltentor nach Erdenrund holt, würde ich nicht als seine Verbündeten bezeichnen. Sie sind nicht weniger seine willenlosen Diener als jeder Untote, der ihm folgt.«
»Meine Fähigkeit, die Absichten dieser Schattenreiter, wie ihr sie nennt, zu erkennen, ist begrenzt«, erklärte der Maskierte vollkommen ungerührt. »Allerdings schätze ich, dass Morygors Verbündete in diesem Land beheimatet sind.«
»Das wird kaum der König von Westreich und seine Armee sein«, war Thondaril überzeugt.
»Wir werden Vorbereitungen treffen«, erklärte der Namenlose Renegat, der es nicht für nötig hielt, weitere Erklärungen abzugeben.
»Und worin sollen die bestehen?«, fragte Thondaril. Gorian spürte, dass es dem zweifachen Ordensmeister missfiel, mit welcher Selbstverständlichkeit der Namenlose die Führung für sich beanspruchte.
»Wir werden den Schattenreitern mit einer geeigneten magischen Abwehr begegnen und sie zumindest für eine Weile zurückschlagen«, prophezeite der Maskierte – und verschwand, sank einfach in das Gestein zu seinen Füßen und war im nächsten Moment nicht mehr zu sehen.
»Mein treuer Begleiter verliert nicht gern viele Worte«, erklärte der Namenlose Renegat. »Er macht sich stattdessen lieber sofort ans Werk.«
Es dauerte nicht lange, und Gorian sah auf einem der schroffen Felsmassive, die das Tal auf der anderen Seite des Sees begrenzten, eine Gestalt, die sich gegen das Sonnenlicht abhob. Als sie ein Schwert zog und sich dessen Klinge in eine Flamme verwandelte, war klar, dass es sich um den Maskierten handelte. Mit dem Flammenschwert entzündete er einen Stein, aus dem daraufhin Feuer emporschoss. Anders als bei dem Flammenkreis, den der Maskierte um Felsenburg gezogen hatte, war dieses Feuer jedoch nicht bläulich, sondern flackerte grün. Es schrumpfte rasch wieder zusammen und war nur noch als blasser Schimmer auszumachen.
Der Maskierte rannte daraufhin davon, lief einen schmalen Grat entlang und verschwand wieder im Fels, nur um kurz darauf an anderer Stelle erneut aufzutauchen und ein
weiteres magisches Feuer zu entzünden. Nach und nach bildete sich so ein Ring um das ganze Tal.
Es dämmerte bereits, als der Maskierte zurückkehrte. Zog Yaal und Torbas waren inzwischen erwacht. Beiden ging es sichtlich besser.
Sie verließen die Gondel und setzten sich an ein Feuer, das der Maskierte auf blankem Boden entzündet hatte, weil es weit und breit kein Brennholz gab.
Das Lagerfeuer war jedoch von anderer Natur als jene magischen Flammen, mit denen er die Feinde abwehren wollte. Es glich einem natürlichen Feuer, nur war es deutlich weniger heiß. Die in der Gondel noch vorhandenen Vorräte ließen sich darüber allerdings zubereiten. Centros Bal hatte stets darauf geachtet, größere Mengen getrockneten Fisches auf seinen Reisen mitzunehmen. Notrationen, die nur dann angetastet werden durften, wenn sonst keine Nahrungsquellen zur Verfügung standen.
»Nicht selten hat sich Centros Bal für diese Angewohnheit den Spott der anderen Gildenmitglieder gefallen lassen müssen«, sagte
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