Gorian 2
ansprechbar gewesen war, und sagte ein paar Worten auf Caladranisch zu ihm.
Der Renegat öffnete die Augen, und der Maskierte reichte ihm die Kräuter, die in den verschiedensten Farben zu schimmern begannen, als sie die Handfläche des Caladran berührten.
»Das habe ich gebraucht!«, stieß dieser hervor und schloss die dürre Hand um die Pflanzen.
Er erhob sich und ging zu Gorian und Thondaril. »Ihr glaubt, dass ich untätig bin und andere ihrem Schicksal überlasse. Aber ich sammle nur Kraft für das, was uns noch bevorsteht.« Er hob die Hand mit den Kräutern, öffnete sie, und es wurde offenbar, dass sie zu einem bläulich schimmernden Staub geworden waren. »Dies ist jene Substanz, die Oras Ban so lange über das Ende seiner Zeit hinaus am Leben erhielt. Allerdings hat Oras Ban sie aufgrund der besonderen Empfindlichkeit seines menschlichen Körpers immer nur in gelöster und stark verdünnter Form zu sich nehmen können, sonst hätte ihn die Lebenskraft des Elixiers wahnsinnig werden lassen. Nun, vielleicht ist er es zum Schluss dennoch geworden. Wenn ich dies dem Greifen gebe, könnte es ihn retten.«
»Dann tut es«, forderte Gorian. »Und beweist, dass die Heilkunst der Caladran der einer Heilschülerin des Ordens der Alten Kraft überlegen ist!«
»Es könnte auch geschehen, dass die Substanz ihn tötet«, warnte der Namenlose. »Oder sie lässt ihn zu einem wahnsinnigen, nicht zu bändigenden Monstrum werden. Es hängt ganz allein von der Dosis ab und von der begleitenden Magie. Ihr solltet zu eurem Verborgenen Gott beten, dass mein Versuch glückt.«
Der Namenlose ging auf den träge daliegenden Greifen zu, dessen Körper von mindestens hundert Heilsteinen bedeckt war. Viele hatten die rötliche Färbung verloren und die Schwärze des Bluts angenommen, das nach wie vor aus verschiedenen Wunden hervorquoll.
Das riesige Geschöpf hatte die Augen inzwischen geschlossen und lag regungslos da, fast wie tot, und atmete nur noch schwach. Wenn es die Luft durch das einzige Nasenloch ausblies, entstand dabei ein Laut, der an eine verendende Krähe erinnerte.
»Bleibt zurück!«, forderte der Namenlose von allen anderen.
Gorian spürte, wie sehr Sheera das widerstrebte. »Er wird schon wissen, was er tut!«, wandte er sich in Gedanken an sie.
»Das will ich hoffen«, antwortete sie skeptisch. »Aber ich traue ihm nicht. Er verfolgt nur seine eigenen Ziele.«
»Vorsicht, er liest in unseren Seelen und Gedanken!«
»Aber vermutlich nicht in diesem Moment, denn im Augenblick erfordert es seine ganze Konzentration, noch die Seele des Greifen zu erreichen.«
Der Namenlose blieb stehen, rührte sich für eine Weile nicht mehr, sondern murmelte leise eine Formel der Caladran. Ein leichtes Zittern durchlief den Körper des Greifen.
Drei der Heilsteine, die Sheera angelegt hatte, fielen von ihm ab, als hätte sich die Magie, die sie an seinem Leib gehalten hatte, aufgelöst, und erneut quoll Blut aus den Wunden.
Gorian konnte spüren, wie sich Sheeras Zweifel in Widerwillen wandelten und dass es ihr schwerfiel, sich zu bezähmen und nicht einzugreifen. Das Leben des Greifen hing an einem seidenen Faden, und Sheera befürchtete, dass der Caladran diesen Faden überspannte.
Der Namenlose schritt zu dem Kopf des Greifen, dessen geöffneter Schnabel halb im Wasser lag, und murmelte wieder etwas in caladranischer Sprache. Selbst aus der Entfernung spürte Gorian noch die eigentümliche Kraft, die von diesen Worten ausging. Es war eine Magie, die sich fundamental von der menschlichen Zauberkunst unterschied. Dabei handelte es sich um die gleiche Kraft, die auch die Mitglieder des Ordens benutzten, aber sie wurde völlig anders angewendet.
Der Namenlose streckte die Hand mit dem Staub aus und öffnete sie. Die bläulich schimmernden Staubteilchen stiegen wie Rauch empor und zogen in das wie bei einem Falken oberhalb des Schnabels sitzende Nasenloch der Kreatur. Daraufhin begannen die noch am Greifenkörper haftenden Heilsteine bläulich zu schimmern.
Ein schmerzerfüllter stöhnender Laut erfüllte das Hochtal, aber der Greif bewegte sich nicht. Es war nur ein Gedankenschrei, erkannte Gorian.
Die Löwenbrust des Greifen hatte sich bis dahin ganz leicht gehoben und gesenkt, mit jedem Atemzug einmal. Nun aber rührte sich dort nichts mehr, die Kreatur wirkte vollkommen starr, so als wäre überhaupt kein Leben mehr in ihr.
Das bläuliche Schimmern aber setzte sich überallhin fort. Die Heilsteine fielen
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