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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
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seine Wohnung. Von einer Telefonzelle auf dem Taganskaja-Platz aus versuchte er vergeblich, Mischa anzurufen. Er erreichte Schwan und Andrejew, ging nach Hause zurück und blieb an eine Wand im Schlafzimmer gelehnt stehen, um Irina zu beobachten.
    Konnte er zum Generalstaatsanwalt gehen und erklären, der Moskauer Staatsanwalt sei ein Mörder?
    Zwei Tage vor dem Maifeiertag?
    Ohne handfeste Beweise? Sie würden ihn für betrunken oder verrückt halten und Jamskoi übergeben.
    Konnte er statt dessen zum KGB gehen? Osborne war ein KGB-Spitzel. Und er selbst war am Tod eines KGB-Agenten mitschuldig, weil er Kirwill nicht mit der Pistole in der Hand entgegengetreten war.
    Bei Tagesanbruch waren Irinas Züge langsam deutlicher zu erkennen. Arkadi starrte sie an, als könne er ihr Bild seiner Netzhaut einprägen. Die Welt trachtete ihr nach dem Leben. Er konnte sie retten. Er würde sie verlieren, aber er würde ihr das Leben retten.
    Als sie aufwachte, hatte er Kaffee gekocht und ihr Kleid am Fußende des Betts bereitgelegt.
    »Was soll das?« fragte sie. »Ich dachte, du hättest mich gern hier?«
    »Erzähl mir von Osborne.«
    »Das haben wir doch schon alles durchgekaut, Arkascha.« Irina setzte sich nackt im Bett auf.
    »Nehmen wir einmal an, ich würde alles glauben, was du von Osborne behauptest - was wäre dann, wenn ich mich getäuscht hätte? Falls Valeria irgendwo in Sicherheit ist, würde ich den Mann verraten, der ihr geholfen hat. Wenn sie aber tot ist, ist sie tot. Dann kann niemand etwas daran ändern.«
    »Komm!« Arkadi warf ihr das Kleid hin. »Du redest zu leichtfertig vom Sterben. Ich will dir die Toten vorführen.«
    Auf der Fahrt ins Labor sah Irina immer wieder zu Arkadi hinüber. Er fühlte, dass sie nach einer Erklärung für diese plötzliche Rückverwandlung in einen Chefinspektor suchte. Im Labor holte er einen versiegelten schwarzen Plastiksack ab und ließ sich von Oberst Ljudin einen leeren zweiten mitgeben.
    Als sie weiterfuhren, zeigte Irina ihre Verärgerung über Arkadis kurzangebundene Art, indem sie angestrengt aus ihrem Seitenfenster starrte. Ein eigenartig süßlicher Geruch breitete sich im Wagen aus. Irina sah sich nach dem Plastiksack auf dem Rücksitz um. Noch bevor sie die Moskwa erreichten, kurbelte sie trotz des kühlen Wetters ihr Fenster halb herunter.
    Im ethnologischen Institut führte Arkadi Irina in Andrejews Atelier hinauf. Erleichtert darüber, nicht mehr im Auto sitzen zu müssen, gab sie vor, sich für Andrejews Kuriositätenkabinett zu interessieren, während Arkadi den Anthropologen suchte. Aber Andrejew war wie erwartet nirgends zu sehen.
    »Wolltest du mir die zeigen?« Irina deutete auf einen Glasschrank mit Neandertalern.
    »Nein. Ich hatte gehofft, wir würden Professor Andrejew antreffen. Leider scheint er nicht da zu sein. Ein faszinierender Mann, von dem du bestimmt schon gehört hast.«
    »Nein.«
    »Alle Jurastudenten hören eine Vorlesung über seine Arbeit«, sagte Arkadi. »Daran solltest du dich erinnern.«
    Irina zuckte mit den Schultern. Sie trat an Andrejews Tisch mit der Töpferscheibe. Auf einem Drahtgestell stand ein Schädel, an dem der Anthropologe gerade arbeitete.
    »Aha!« Ihre Hand berührte die kahle Schädeldecke. »Er rekonstruiert sie … « Irina riss die Hand zurück, als habe sie sich verbrannt.
    »Wir können weiterfahren«, sagte Arkadi. »Andrejew hat uns was hingestellt.«
    Er hielt eine altmodische rosa Hutschachtel hoch, die mit einer kräftigen Schnur zusammengebunden war.
    »Ja, ich habe von Andrejew gehört.« Irina wischte sich die Finger an ihrem Kleid ab.
    Als Arkadi auf sie zukam, baumelte die Hutschachtel kopflastig an seinem Zeigefinger.
    Jeder Jurastudent kannte Andrejews Rekonstruktionen von Köpfen Ermordeter. Auf der Fahrt den Gorki-Park entlang wagte die ehemalige Studentin Irina Asanowa kaum, die süßliche Luft in Arkadis Wagen einzuatmen. Der Tod drang aus dem versiegelten Plastiksack und schüttelte in der Hutschachtel auf dem Rücksitz.
    »Wohin fahren wir, Arkascha?« fragte Irina.
    »Du wirst schon sehen.« Arkadi drückte sich so kurz angebunden wie möglich aus, als sitze ein Häftling neben ihm. Keine Erklärung, kein Mitleid, keine tröstende Hand, kein Mitgefühl. Man wird nicht Chefinspektor, ohne zu gewisser Grausamkeit imstande zu sein, sagte er sich.
    Sie fuhren durch Ljublino nach Südosten, weiterhin schweigend, an großen und kleinen Fabriken vorbei, durch Arbeitersiedlungen, über die

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