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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
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Rechtsanwalt namens Mikojan ermordet aufgefunden worden. Ihre Fingerabdrücke haben sich an Zigarettenstummeln am Tatort gefunden.«
    Fet griff nach dem Telefonhörer und begann zu wählen. »Wollen Sie vielleicht mit Major Pribluda sprechen?«
    »Noch nicht.« Arkadi nahm ihm den Hörer aus der Hand und legte wieder auf. »Im Augenblick sind Sie der vergessene Mann. Es kommt oft vor, dass der vergessene Mann der Held wird. Jedenfalls bleibt der vergessene Mann am Leben und kann seine Geschichte erzählen.«
    »Was soll das heißen?« Fet war sichtlich verwirrt.
    »Ich brauche einen Vorsprung.«
     
    Vom Sawjolower Bahnhof aus verkehrten normalerweise Vorortszüge, die ein Heer von Pendlern in die Stadt und wieder hinaus in ihre Schlafstädte brachten. Diesmal stand auf einem der Gleise ein Sonderzug bereit, um dessen Fahrgäste die Pendler einen weiten Bogen machten. Der Zug brachte Arbeiter, die sich für drei Jahre verpflichtet hatten, zu den Bergwerken im Norden, die teilweise bereits jenseits des Polarkreises lagen. Sobald sie dort eintrafen, mussten sie ihre Inlandspässe abgeben, damit niemand sich die Sache anders überlegen konnte. Sie würden für drei Jahre verschwinden, was vielen von ihnen nur recht war.
    Arkadi mischte sich unter die Arbeiter. Er schlurfte in ihren Reihen mit, hielt den Plastiksack mit dem Beweismaterial in der linken Hand und umklammerte mit der rechten seine Pistole in der Tasche. Im Zug ließ er sich in ein Abteil drängen, in dem es bereits nach Schweiß und Zwiebeln roch. Ein Dutzend Augenpaare musterten ihn prüfend. Arkadi sah sich um. Er war von Ganoven umgeben, nach denen in der Stadt, aber noch nicht im ganzen Land gefahndet wurde: kleine Fische, die sich einbildeten, durch die Maschen des großen sozialistischen Netzes zu schlüpfen - und die nun in den sozialistischen Bergwerken verschwinden würden.
    Auf dem Bahnsteig liefen aufgeregte Schaffner hin und her, um diesen Sonderzug endlich in Fahrt und aus dem Bahnhof zu bringen. Bei Großfahndungen wurden die Ausfallstrassen gesperrt und Flugzeuge und gewöhnliche Züge kontrolliert, aber dies war ein ganzer Zug mit Männern, die sich aus irgendwelchen Gründen auf der Flucht vor der Miliz befanden. Wenn Arkadi sich weit vorbeugte, konnte er beobachten, wie Chefinspektor Tschutschin mit dem Fahrdienstleiter diskutierte. Er zeigte ihm ein Foto, und als der Uniformierte den Kopf schüttelte, gab Tschutschin den im Hintergrund bereitstehenden Milizionären ein Zeichen, den Zug zu durchsuchen.
    Aber die zahlenmäßig hoffnungslos unterlegenen Milizionäre hatten keine Chance, ihren Auftrag durchzuführen. Sie wurden schon im ersten Wagen ausgelacht, als sie die Ausweise verlangten, und mussten mit roten Köpfen abziehen. Der Fahrdienstleiter sah mehrmals auf seine Uhr, schob Tschutschin beiseite und gab das Abfahrtssignal. Der Zug setzte sich ruckend in Bewegung. Tschutschin und der Fahrdienstleiter glitten an Arkadi vorbei. Statt eiserner Bahnsteigdächer wurden Schlote und mit Stacheldrähten gesicherte Fabrikzäune sichtbar, charakteristisch für den Norden Moskaus. Die Stadt blieb hinter ihnen zurück. Arkadi holte tief Luft.
    Der Sonderzug bestand aus den ältesten und schmutzigsten Wagen, die das Verkehrsministerium hatte auftreiben können. Die Abteile waren schon so oft mutwillig beschädigt worden, dass es nichts mehr zu beschmieren oder zu stehlen gab. Der Zugschaffner hatte sich in sein Dienstabteil im letzten Wagen eingesperrt und würde bis zur Ankunft unsichtbar bleiben. Der vom Leningrader Bahnhof abfahrende Rote Pfeil benötigte für die Strecke nach Leningrad einen halben Tag; der Sonderzug mit »rehabilitierten Arbeitern« in uralten Wagen würde 20 Stunden unterwegs sein. In Arkadis Abteil wurde geraucht und getrunken. Auch Arkadi bekam einen Schluck Wodka angeboten und revanchierte sich dafür mit einer Zigarette.
    Der Mann mit der Flasche war ein Georgier wie Stalin: vierschrötig und dunkel, mit buschigen Augenbrauen, Schnurrbart und schwarzen Augen.
    »Manchmal fahren in solchen Zügen Spitzel mit«, erklärte er Arkadi. »Manchmal versuchen sie, dich einzufangen und zurückzubringen. Solche Spitzel fassen wir und schneiden ihnen die Kehle durch.«
    »In diesem Zug gibt’s keine Polizeispitzel«, widersprach Arkadi. »Uns will keiner wiederhaben. Wir fahren genau dorthin, wohin sie uns haben wollen.«
    Die Augen des Georgiers glitzerten. »Scheiße noch mal, da hast du recht!«
    Gleichförmig ratterten die

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