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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
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hereinzulassen.
    Sonja kam. Sie war dünner und wirkte vergrämt, obwohl sie lächelte.
    »Die Richterin hat uns geraten, einen neuen Anfang zu versuchen«, erklärte sie Arkadi. »Sie hat gesagt, dass nichts endgültig sei, wenn ich mir die Sache anders überlegen will.«
    »Und willst du sie dir anders überlegen?«
    Sie saß am Fenster und fächelte sich mit ihrem Taschentuch Luft zu. Selbst ihr mädchenhafter blonder Zopf wirkte dünner, älter - wie eine Perücke, dachte er.
    »Wir haben nur Schwierigkeiten gehabt«, meinte Sonja.
    »Hm.«
    »Vielleicht war das meine Schuld.«
    Arkadi lächelte. Sonjas Eingeständnis klang so unbeteiligt, als spreche ein Bürokrat von einer kleinen Umorganisation in seiner Abteilung.
    »Du siehst besser aus, als ich erwartet hatte«, erklärte sie ihm. »Na; ja, hier draußen kann man eigentlich nur gesünder werden. Ich bin seit zwei Wochen nicht mehr vernommen worden. Ich frage mich, wie’s mit mir weitergehen soll.«
    »In Moskau ist es sehr heiß. Du kannst von Glück sagen, dass du hier draußen bist.«
    Sonja erklärte ihm, sie habe erfahren, dass er eine für ihn geeignete Stellung in einer hübschen Kleinstadt erhalten solle, da eine Rückkehr nach Moskau selbstverständlich nicht in Frage komme.
    Vielleicht als Lehrer. Sie könnten an der gleichen Schule unterrichten. Außerdem sei es vielleicht an der Zeit, an die Gründung einer Familie zu denken. Sonja sprach sogar davon, dass sie in nächster Zeit zu einem längeren Besuch zurückkommen könne.
    »Nein«, wehrte Arkadi ab. »Wir sind nicht mehr verheiratet und machen uns nichts auseinander. Ich liebe dich jedenfalls nicht. Ich fühle mich nicht einmal für deine Entwicklung im Lauf unserer Ehe verantwortlich.«
    Sonja hörte auf, sich Luft zuzufächeln, und starrte blicklos an Arkadi vorbei. Ihre Hände lagen untätig in ihrem Schoß. Da sie an Gewicht und Rundlichkeit verloren hatte, traten ihre Turnerinnenmuskeln um so deutlicher hervor.
    »Liebst du eine andere Frau?« Die Frage war allzu offensichtlich.
    »Sonjuschka, du hast recht gehabt, mich zu verlassen, und ich möchte dir raten, jetzt einen großen Bogen um mich zu machen. Ich wünsche dir nichts Schlechtes.«
    »Du wünschst mir nichts Schlechtes?« Sie schien aus ihrer Gleichgültigkeit zu erwachen und wiederholte seine Äußerung aufgebracht und sarkastisch. »Du wünschst mir nichts Schlechtes? Ist dir eigentlich klar, was du mir angetan hast? Schmidt hat sich von mir getrennt. Er hat meine Versetzung in eine andere Schule beantragt, und wer könnte ihm das verübeln? Mein Parteibuch ist eingezogen worden; ich weiß nicht, ob ich’s jemals zurückbekomme. Du hast mein Leben ruiniert, wie du’s dir vom ersten Tag an vorgenommen hattest. Bildest du dir etwa ein, ich wäre aus eigenem Antrieb hergekommen?«
    »Nein. Du bist auf deine Weise immer ziemlich ehrlich gewesen, so dass es mich verblüfft hat, dich hier zu sehen.«
    Sonja drückte ihre zu Fäusten geballten Hände an die Augen und presste ihre Lippen so stark zusammen, dass sie blass und blutlos wurden. Sekunden später nahm sie die Hände weg, versuchte zu lächeln und hatte tränenfeuchte blaue Augen, als sie weitersprach. »Wir haben nur einen Ehestreit gehabt. Ich bin nicht verständnisvoll genug gewesen. Wir müssen einen neuen Anfang machen.«
    »Nein, bitte nicht.«
    Sie griff nach seiner Hand. Er hatte vergessen, wie schwielig ihre Finger vom Geräteturnen waren.
    »Wir haben lange nicht mehr miteinander geschlafen«, flüsterte sie. »Ich könnte hier bei dir übernachten.«
    »Bitte nicht.« Arkadi bog ihre Finger auf.
    »Dreckskerl!« Sie zerkratzte ihm die Hand.
    Sonja wurde noch vor dem Abendessen nach Moskau zurückgeflogen. Das Erlebnis, dass diese Frau, die einmal seine Ehefrau gewesen war, sich vor ihm erniedrigt hatte, war zutiefst deprimierend für Arkadi.
    Nachts wachte er mit überwältigender Sehnsucht nach Irina auf. Sein Zimmer war ein schwarzer Rahmen für ein Fenster voller Sterne. Arkadi stand nackt am Fenster und sah zum Himmel auf, als erkenne er ihr Bild zwischen den vertrauten Konstellationen.
    In den vergangenen Monaten hatte er alle Gefühle in sich abgetötet, um durch Leidenschaftslosigkeit gegen die bohrenden Fragen der Vernehmungsoffiziere gefeit zu sein. Jetzt glaubte er, Irinas Bild zu sehen, und er lebte wieder - zumindest für diese eine Nacht.
    Die Moorbrände begannen im nächsten Monat. Der Himmel im Norden war tagelang rötlichgrau verhangen. Eines

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