Gorki Park
aufklären sollte, was sie am Ende dieser Fahrt erwartete. Oder war es besser, sie mit der Illusion der Freiheit als ganz ohne Hoffnung in den Tod gehen zu lassen? Was könnte grausamer sein, als ihr diese einzige Hoffnung zu rauben?
Und was war, wenn er sich irrte? Was war, wenn Osborne tatsächlich bereit war, die Zobel gegen Irina und ihn einzutauschen? Sekundenlang konnte er sogar sich selbst täuschen!
Osborne würde sie erschießen. Das war sauber und ehrlich, und die FBI-Agenten waren saubere und ehrliche Typen. Osborne war Fachmann in diesen Dingen. Im Vergleich zu ihm war Wesley lediglich ein kleiner Bürokrat.
Vielleicht passierte irgend etwas Unerwartetes; vielleicht fuhr der Wagen ewig weiter. Dann dachte er an Kirwills Abhörmikrofon in ihrem Zimmer. Vielleicht hatten Billy und Rodney alles mitbekommen und saßen in dem Auto hinter ihnen. Er erinnerte sich daran, dass Kirwill und Rats vorgehabt hatten, mit einem kleinen Boot über den Kill zu fahren. Das war bei diesem Schneesturm unmöglich. Falls Kirwill aufgegeben hatte, fuhr er vielleicht mit Billy und Rodney hinter ihnen her.
»Warum lächelst du?« fragte Irina.
»Ich habe entdeckt, dass ich an einer unheilbaren Krankheit leide.«
»Das klingt interessant«, meinte Wesley. »An welcher denn?«
»Hoffnung«, antwortete Arkadi.
»Das hab ich mir gedacht«, stimmte Wesley zu.
Der Wagen hielt, und Ray kaufte an einem Schalter vor einem grünen Gebäude mit der Aufschrift DEPARTMENT OF MARINE AND AVIATION eine Fahrkarte. Schwarzes Hafenwasser schimmerte vor ihnen. Sie hatten das äußerste Ende von Manhattan erreicht. Hinter ihnen hielt ein Auto mit einer Frau am Steuer, die sich sofort in eine Zeitung vertiefte.
»Was tun Sie, wenn der Fährbetrieb eingestellt wird?« fragte Arkadi.
»Dazu müsste schon ein Hurrikan kommen. Ein kleiner Schneesturm kann die Fähre nicht aufhalten«, antwortete Wesley. »Wir halten uns genau an den Zeitplan.« Wenig später legte eine Fähre bei dem Gebäude an: früher und schneller, als Arkadi erwartet hatte. Gittertore öffneten sich, und Arbeiter und Angestellte kamen vom Schiff, Aktentaschen und Schirme gegen den Schneesturm hochhaltend. Sie kämpften gegen den Sturm an und liefen kreuz und quer zwischen den von Bord fahrenden Autos hindurch. Dann rollten die wartenden Fahrzeuge aufs Schiff. Wesleys Limousine stand in der mittleren Reihe ganz vorn. Fußgänger hasteten über Gangways an Bord, das Deck füllte sich rasch. Die meisten Autolenker stiegen die Treppe zum Salon hinauf. Dann ertönte ein Klingelzeichen: Die Fähre legte ab und glitt ins schwarze Hafenwasser hinaus.
Der Schnee dämpfte das Maschinengeräusch. Eine große Welle vielleicht das Kielwasser eines anderen Schiffs - stieg vor ihnen aus dem Wasser auf; die Fähre durchschnitt sie mit sanftem Rauschen, das fast ein Seufzen war. Wo mochte Kirwill jetzt sein? Arkadi erinnerte sich daran, wie sie über die zugefrorene Moskwa gerannt waren.
»Haben Sie was dagegen, wenn wir aussteigen?« fragte er den vor ihm sitzenden FBI-Agenten.
»Was wollen Sie draußen in der Kälte?«
»Die Aussicht bewundern.«
Wesley legte den Kopf schief. »Die Aussicht ist allerdings herrlich. Vor allem an einem Tag wie heute, an dem praktisch nichts zu erkennen ist. Das macht sie um so reizvoller.« Er runzelte die Stirn.
»Aber ich bin ein Fatalist. Manche Menschen sind einfach nicht dafür bestimmt, sonnige Tage zu erleben. Und ich bin auch ein Pessimist. Wissen Sie, dass das Deck dieser Fähre einer der beliebtesten Selbstmordschauplätze New Yorks ist? Oder Sie könnten versehentlich ausrutschen und über Bord fallen. Sehen Sie, wie nass das Deck ist? Und dann geraten Sie vielleicht in die Schrauben oder erfrieren im Wasser, bevor Sie gerettet werden können. Nein, solange ich der Verantwortliche bin, geht Sicherheit vor.«
»Dann rauche ich jetzt eine Zigarette«, sagte Arkadi.
Der Schneesturm hüllte die Fähre ein, um im nächsten Augenblick in einzelne Schauer auseinander zu brechen, die wie Kreisel übers schwarze Wasser tanzten. Das Sicherungsseil am Bug war mit einem Eispanzer aus gefrorener Gischt überzogen.
Valeria, Kostja der Bandit und James Kirwill hatten nicht gewusst, was sie im Gorki-Park erwartete.
Sie zumindest waren ahnungslos auf ihren Schlittschuhen in den Tod gelaufen. Was konnten sie zu zweit unternehmen, falls er Irina aufklärte? Drei bewaffnete FBI-Agenten überwältigen? Um Hilfe rufen? Wer würde auf zwei von fünf Insassen
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