Gorki Park
sowieso ‘ne Schweinerei! So was täten wir nie - wir haben schließlich auch unsere Ehrbegriffe!«
Nach Zypin saßen weitere Urkas vor Arkadis Schreibtisch in seinem Büro in der Nowokusnezkaja-Strasse und wiederholten, dass niemand verrückt genug sei, drei Morde im Gorki-Park zu begehen - und dass andererseits niemand vermisst werde. Der letzte war Scharkow, ein ehemaliger Feldwebel, der mit Waffen handelte.
»Was ist denn schon auf dem Markt? Ein paar russische Militärwaffen, einige verrostete englische Revolver und vielleicht ein paar tschechische Pistolen. Im Osten, in Sibirien, stößt man vielleicht auf eine Bande mit Maschinenpistolen. Aber nicht hier, nicht in dem Rahmen, den Sie geschildert haben.
Gut, und wer soll damit schießen? Außer mir selber kenne ich in Moskau keine zehn Leute, die ihre Großmutter aus zehn Meter Entfernung treffen könnten. Leute, die beim Militär gedient haben, sagen Sie? Dann überschätzen Sie die heutige Schießausbildung gewaltig! Jetzt mal ganz ernsthaft: Sie reden von einer regelrechten Hinrichtung, und wir kennen beide nur eine Organisation, die dafür ausgerüstet wäre.«
Arkadi holte sich frische Kleidung aus seiner Wohnung und entlieh auf dem Rückweg zum Ukrainam der Historischen Bibliothek die »Annalen der sowjetischamerikanischen Zusammenarbeit im Großen Vaterländischen Krieg«. Vielleicht hatte der KGB sein Material bereits abtransportiert, bis er ins Hotel zurückkam; vielleicht erwartete ihn dort Major Pribluda. Unter Umständen machte der Major sogar einen kleinen Scherz, um ein neues, liebenswürdigeres Verhältnis zwischen ihnen herzustellen.
Wahrscheinlich versuchte er, ihr gegenwärtiges Missverständnis als rein institutionell bedingt hinzustellen. Schließlich bezog der KGB seine Existenzberechtigung lediglich aus der Angst vor äußeren oder inneren Feinden. Im Gegensatz dazu hatten Miliz und Staatsanwaltschaft zu beweisen, dass alles in bester Ordnung war. Arkadi konnte sich vorstellen, dass die drei Morde in einigen Jahren in juristischen Fachzeitschriften unter der Überschrift »Institutionelle Zielkonflikte im Gorki-Park« behandelt werden würden.
Im Ukraina türmten sich neue Tonbänder und Abhörprotokolle. Pascha und Fet waren nicht da.
Pascha teilte Arkadi auf einem Zettel mit, die Sache mit den Ikonen scheine sich zerschlagen zu haben, aber er sei auf einer Spur, die mit einem Deutschen zusammenhänge.
Arkadi knüllte den Zettel zusammen, warf ihn in den Papierkorb und ließ die mitgebrachten Kleidungsstücke auf das Feldbett fallen.
Draußen regnete es. Die Tropfen fielen auf den zugefrorenen Fluss und bildeten tiefhängende Nebelschwaden über den vielbefahrenen Boulevards. Von seinem dunklen Zimmer aus beobachtete Arkadi drüben im Diplomatenkomplex eine Frau, die im Nachthemd an einem beleuchteten Fenster stand.
Eine Amerikanerin? Arkadis Brustkorb schmerzte, wo der Unbekannte ihn vor zwei Tagen getroffen hatte. Er drückte eine Zigarette aus und zündete sich sofort die nächste an. Er fühlte sich merkwürdig erleichtert - von Sonja, von seinem bisherigen Lebensstil befreit und schwerelos.
Im Zimmer der Frau jenseits des Boulevards erlosch das Licht. Er fragte sich, weshalb er den Wunsch hatte, mit einer Frau zu schlafen, die er noch nie gesehen hatte und deren Gesicht nur ein verschwommenes Oval hinter einer regennassen Fensterscheibe war. Arkadi war Sonja nie untreu gewesen, hatte nicht einmal mit dem Gedanken daran gespielt. Jetzt wollte er irgendeine Frau. Oder jemanden verprügeln. Hauptsache menschlicher Kontakt.
Er zwang sich dazu, die im Januar gemachten Aufnahmen von Osborne abzuhören. Falls es ihm gelang, eine Verbindung zwischen den Morden im Gorki-Park und diesem beim KGB so gut angeschriebenen Amerikaner herzustellen, musste Major Pribluda die Ermittlungen übernehmen.
Allerdings bestand kein Grund, Osborne zu verdächtigen, obwohl der Amerikaner Verbindung mit Irina Asanowa und dem Schwarzhändler Golodkin gehabt hatte. Der Pelzgroßhändler hatte den Januar und die beiden ersten Februartage abwechselnd in Moskau und auf der alljährlichen Pelzversteigerung in Leningrad verbracht. In beiden Städten hatte er mit hohen Ministerialbeamten und Kulturschaffenden verkehrt, nicht mit schlichten Bürgern wie den im Gorki-Park Ermordeten.
In den »Annalen der sowjetischamerikanischen Zusammenarbeit im Großen Vaterländischen Krieg« fand Arkadi Osborne zweimal erwähnt:
Bevor sich der Belagerungsring
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