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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
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schloss, verließen die meisten Ausländer Leningrad. Zu den wenigen, die tapfer ausharrten, gehörte der amerikanische Diplomat J. D. Osborne, der gemeinsam mit sowjetischen Kollegen unermüdlich bemüht war, die Schäden an Hafenanlagen so gering wie möglich zu halten. Auch unter starkem feindlichen Beschuss waren General Mendel und Osborne in vorderster Front tätig, um die Instandsetzungsarbeiten an beschädigten Bahnlinien und Strassen zu leiten …
    Einige Seiten später tauchte der Name erneut auf:
    … bei einem dieser Stosstruppunternehmen der Faschisten wurde der Transportstab unter Führung General Mendels und des Amerikaners Osborne abgeschnitten, konnte sich jedoch mit Handfeuerwaffen freikämpfen.
    Arkadi erinnerte sich an die bissigen Bemerkungen seines Vaters über Mendels Feigheit (»blanke Stiefel, volle Hosen«). Aber gemeinsam mit Osborne war Mendel ein Held gewesen.
    Nachdem Mendel 1947 ins Handelsministerium übergewechselt war, hatte es nicht mehr lange gedauert, bis Osborne eine Ausfuhrgenehmigung für Pelze erhalten hatte.
    Plötzlich kam Fet herein. »Da Sie noch hier sind, Chefinspektor, wollte ich mir ein paar weitere Aufnahmen anhören«, behauptete er.
    »Es ist schon spät. Regnet’s draußen, Sergej?«
    »Ja.« Fet legte seinen trockenen Mantel auf einen Stuhl und nahm Platz. Nicht gerade raffiniert, dachte Arkadi. Der junge Mann rückte seine Nickelbrille zurecht und griff nach einem seiner frischgespitzten Bleistifte. Wahrscheinlich war irgendwo im Zimmer ein Abhörmikrofon installiert, und die Lauscher hatten es satt, einem Mann zuzuhören, der nur las und Tonbandaufnahmen abhörte. Deshalb hatten sie den armen Fet in die Bresche geschickt. Das bewies wahres Interesse. Ausgezeichnet.
    Fet zögerte.
    »Was gibt’s, Sergej?«
    Die vertrauliche Anrede verstärkte Fets Unbehagen. Der junge Kriminalbeamte räusperte sich. »Diese Ermittlungsweise, Chefinspektor … «
    »Nach Dienstschluss können Sie einfach Genosse sagen.«
    »Danke. Unsere Ermittlungsweise … na ja, ich frage mich, ob sie die richtige ist.«
    »Das frage ich mich auch. Wir fangen mit drei Ermordeten an und befassen uns dann mit Tonbändern und Aufzeichnungen über Leute, die im Grunde genommen willkommene Besucher sind. Vielleicht täuschen wir uns völlig und vergeuden damit kostbare Zeit. Haben Sie deswegen Bedenken, Sergej?«
    Fet schien es die Sprache verschlagen zu haben. »Ja, Chefinspektor«, stieß er hervor.
    »Sagen Sie einfach Genosse zu mir. Wie sollen wir eine Verbindung zwischen willkommenen Gästen und den Ermordeten herstellen, wenn wir nicht einmal wissen, wer die Mordopfer gewesen oder weshalb sie ermordet worden sind?«
    »Ja, das habe ich mir auch überlegt.«
    »Wäre es nicht besser, die Ausländer aus dem Spiel zu lassen und sich auf das Personal im Gorki-Park zu konzentrieren oder möglichst viele Parkbesucher dieses Winters aufzuspüren? Wäre das Ihrer Meinung nach eher empfehlenswert?«
    »Nein. Vielleicht.«
    »Sie sind unschlüssig, Sergej«, stellte Arkadi fest. »Sagen Sie mir bitte, was Sie denken, denn Kritik ist konstruktiv. Sie hilft uns, Ziele zu definieren und in gemeinsamer Arbeit anzustreben.«
    »Ich äh …« Der junge Mann wusste nicht recht, was er sagen sollte. »Nicht unschlüssig«, verbesserte Arkadi sich. »Eher im Zweifel, welche Methode besser ist. Das stimmt doch, Sergej?«
    »Ja.« Fet nahm einen neuen Anlauf. »Und ich frage mich, ob Sie einen mir unbekannten Aspekt unserer Ermittlungen kennen, der dazu geführt hat, dass wir uns so ausschließlich auf diese von den Organen der Staatssicherheit zur Verfügung gestellten Unterlagen konzentrieren?«
    »Sergej, ich habe volles Vertrauen zu Ihnen. Und ich habe volles Vertrauen zu dem typisch russischen Mörder. Er tötet aus Leidenschaft und - wenn möglich - zu Hause. Natürlich besteht vorerst noch Wohnungsmangel, aber sobald sich dieser Zustand bessert, wird’s noch mehr Morde in den heimischen vier Wänden geben. Können Sie sich überhaupt einen Russen, einen Sohn der Revolution, vorstellen, der drei Menschen in den bekanntesten Moskauer Kulturpark lockt und dort kaltblütig ermordet? Ist das vorstellbar, Sergej? Das ist doch ein Witz.«
    »Ich verstehe nicht ganz, worauf Sie hinauswollen.«
    »Denken Sie darüber nach, Sergej. Strengen Sie Ihr Gehirn an.« Einige Minuten später verabschiedete der junge Mann sich mit einer fadenscheinigen Ausrede. Arkadi befasste sich wieder mit Osbornes Tonbändern, denn er

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