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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
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ihre beste Freundin gewesen, Sie müssten es eigentlich wissen.«
    »Sie scheinen zu vergessen«, erklärte sie ihm, »dass ich etwas von Juristerei verstehe. Das Strafgesetzbuch stellt ausdrücklich fest, dass alle Unionsflüchtigen Staatsverbrecher sind. Leute wie Sie würden vor nichts zurückschrecken, um sie und ihre Fluchthelfer zu fassen. Woher soll ich wissen, dass der Überfall auf dem U-Bahnhof nicht nur gestellt gewesen ist? Dass Sie ihn nicht selbst geplant haben? Oder Sie und der KGB? Wie die Leichen, die Sie angeblich aufgefunden haben - woher stammen sie wirklich? Sie behaupten, Osborne habe jemanden erschossen? Sie würden doch jeden unschuldigen Touristen festnehmen und in die Lubjanka stecken.«
    »Osborne sitzt nicht in der Lubjanka; er hat Freunde in der Lubjanka. Sie nehmen ihn in Schutz. Die würden Sie ermorden, um ihn zu schützen.«
    »Um einen Amerikaner zu schützen?«
    »Er kommt seit fast vierzig Jahren regelmäßig in die Sowjetunion. Er kauft für Millionen von Dollar Felle ein, bespitzelt russische Schauspieler und Tänzer und liefert seinen Freunden dumme kleine Mädchen wie Valeria und Sie aus.«
    Irina hielt sich die Ohren zu. »Ihren Freunden, Ihren Freunden!« widersprach sie. »Wir reden von Ihnen. Sie wollen nur rauskriegen, wohin Sie Ihre Mörder schicken müssen.«
    »Um Valeria erledigen zu lassen? Ich weiß genau, wo sie zu finden ist.
    Sie liegt in einem Kühlfach in einem Keller an der Petrowka-Strasse. Ich habe die Pistole, mit der Osborne sie erschossen hat. Ich weiß, wer Osborne nach der Tat abgeholt und was für einen Wagen er gefahren hat. Ich habe Fotos, auf denen Osborne in Irkutsk mit Valeria und Kostja zu sehen ist. Und ich weiß, dass sie einen Schrein für ihn gebaut haben.«
    »Ein Amerikaner wie Osborne könnte zwanzig Schreine von zwanzig verschiedenen Leuten kaufen.« Irina wich keinen Schritt zurück. »Sie haben selbst von Golodkin gesprochen. Golodkin hätte ihm einen beschaffen können, und Golodkin hatte nicht das Bedürfnis, die Sowjetunion zu verlassen. Er wäre mit Geld zufrieden gewesen, und Osborne ist bekanntlich Millionär. Warum hätte er Valeria Dawidowa und Kostja Borodin aus Irkutsk nach Moskau holen sollen? Warum gerade sie?«
    Er konnte ihre tief in den Höhlen liegenden Augen im Oval ihres Gesichts und ihre auf einer runden Hüfte liegende Hand ausmachen. Er spürte ihre Erschöpfung, obwohl ihr Gesichtsausdruck in der Dunkelheit nicht zu erkennen war.
    »Im Krieg hat Osborne auf ganz ähnliche Weise drei deutsche Gefangene erschossen. Er hat sie vor Leningrad in den Wald mitgenommen, ihnen Schokolade und Champagner angeboten und sie erschossen. Dafür hat er einen Orden gekriegt. Das ist nicht gelogen; das können Sie in Büchern nachlesen.«
    Irina gab keine Antwort.
    »Was haben Sie vor, wenn Sie diese Sache überstanden haben?« fragte Arkadi. »Haben Sie vor, eine bekannte Dissidentin zu werden und Chefinspektoren anzuprangern? Darauf verstehen Sie sich gut. Wollen Sie sich um Wiederaufnahme an die Universität bewerben? Ich kann Ihnen eine Empfehlung schreiben.«
    »Damit ich Rechtsanwältin werden kann?«
    »Ja.«
    »Glauben Sie, dass ich mit diesem Beruf glücklich wäre?«
    »Nein.« Arkadi dachte an Mischa.
    »Erinnern Sie sich an den Regisseur, der mir die italienischen Stiefel versprochen hat?« fragte Irina leise. »Er hat mir einen Heiratsantrag gemacht. Sie haben mich ausgezogen; ich bin nicht gerade häßlich, stimmt’s?«
    »Nein.«
    »Vielleicht entscheide ich mich dafür. Vielleicht heirate ich, lebe zu Hause und verschwinde einfach.«
    Nach stundenlangen Auseinandersetzungen klang ihre Stimme so sanft, als komme sie aus einem anderen Raum.
    »Zusammenfassend kann man sagen«, erklärte Arkadi ihr, »dass alles, was ich Ihnen erzählt habe, entweder eine außergewöhnlich komplizierte Lügengeschichte oder die reine Wahrheit gewesen ist.«
    Er spürte ihr gleichmäßiges Atmen, merkte, dass sie eingeschlafen war, und deckte sie zu. Dann stand er eine Zeitlang am Fenster und hielt Ausschau nach ungewöhnlichen Aktivitäten auf dem Hof, in den Wohnungen gegenüber und auf dem Taganskaja-Boulevard. Schließlich kehrte er zum Bett zurück und streckte sich auf der anderen Hälfte aus.
    In zehn Ehejahren hatte er gemeinsam mit Sonja bei zwei Prozent Zins 1200 Rubel gespart, von denen sie bereits 1100 abgehoben hatte. Das bewies, dass man seinen Mördern, nicht aber seiner Frau entkommen konnte - seiner ehemaligen Frau,

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