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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
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von denen eines blind war.
    »Glauben Sie wirklich, dass es darauf ankommt, wo ich bin oder was ich sage?«
    Die Wohnung war dunkel; er hatte vergessen, Glühbirnen zu kaufen. Als Irina sich an eine Wand lehnte, schien sie mit den Schatten zu verschmelzen.
    Sie rauchte so viel wie er. Ihr frischgewaschenes Haar ringelte sich um ihre Stirn und fiel lockig auf ihre Schultern. Sie war noch immer barfuss, und das eingegangene Kleid spannte über Brust und Hüften.
    Während sie auf und ab ging, rauchte, seine Fragen parierte und Lügen erfand, ließ Arkadi sie keine Sekunde aus den Augen. Im schwachen Licht der Hofbeleuchtung sah er immer nur Teile von ihr - eine gerundete Wange, scharf geschnittene Lippen. Alles an ihr war großzügig - lange Finger, langer Hals, lange Beine. Wenn sich ihre Blicke trafen, war das jedes mal wie ein Lichtstrahl, der auf dunkles Wasser fällt.
    Arkadi wusste, dass sie sich darüber im klaren war, wie sie auf ihn wirkte, aber er wusste auch, dass der kleinste Annäherungsversuch von seiner Seite einer Kapitulation gleichgekommen wäre. Dann hätte sie sich nicht einmal mehr die Mühe gemacht, plausible Lügen zu erfinden.
    »Sie wissen, dass Osborne Ihre Freundin Valeria, Kostja Borodin und den jungen Amerikaner Kirwill ermordet hat - aber Sie geben ihm trotzdem Gelegenheit, das gleiche mit Ihnen zu tun. Sie zwingen ihn geradezu dazu.«
    »Ich weiß nicht, von wem Sie da reden.«
    »Sie sind selbst misstrauisch geworden; deshalb sind Sie sofort zu Osborne ins Hotel gegangen, als er wieder in Moskau war. Sie haben sofort Verdacht geschöpft, als ich bei der Mosfilm auftauchte.«
    »Mr. Osborne interessiert sich für das sowjetische Filmschaffen.«
    »Er hat Ihnen erzählt, die drei befänden sich im Ausland in Sicherheit. Ich weiß nicht, was er Ihnen vorgemacht hat, wie er sie rausgeschmuggelt haben will; schließlich hatte er auch James Kirwill reingeschmuggelt. Haben Sie sich denn nie überlegt, dass es viel schwieriger ist, jemand aus der Sowjetunion rauszubringen, und dann auch noch drei Leute?«
    »Oh, das überlege ich mir oft!«
    »Und dass es einfacher ist, sie hier zu ermorden? Wo sind die drei denn angeblich? In Jerusalem? In New York? Oder gleich in Hollywood?«
    »Spielt das eine Rolle? Sie behaupten doch, sie seien tot! Jedenfalls können Sie ihnen nichts mehr anhaben … «
    In der Dunkelheit, nur von der Zigarette beleuchtet, strahlte ihr Gesicht moralische Überlegenheit aus.
    »Solschenizyn und Amalrik im Exil. Palatsch zum Selbstmord getrieben. Fainberg auf dem Roten Platz die Zähne ausgeschlagen. Grigorenko und Gerschuni in Irrenanstalten gesteckt, um sie zum Wahnsinn zu treiben. Viele in Einzelhaft: Scharanski, Orlow, Moros, Bajow. Andere in ganzen Gruppen verhaftet wie die Offiziere der Ostseeflotte. Und wieder andere zu Tausenden vertrieben wie die Krimtataren … «
    Irina sprach unaufhörlich weiter. Arkadi war sich bewusst, dass dies ihre große Chance war. Hier hatte sie einen Chefinspektor vor sich und spuckte ihm Worte entgegen, als ob es gezielte Kugeln auf eine ganze Armee von Chefinspektoren seien.
    »Ihr habt Angst vor uns«, behauptete sie. »Ihr wisst genau, dass ihr uns nicht ewig unterdrücken könnt. Die Bewegung wächst ständig.«
    »Es gibt keine Bewegung. Ob sie recht oder unrecht hat, spielt keine Rolle. Sie existiert einfach nicht.«
    »Ihr habt zuviel Angst, um darüber zu reden.«
    »Das kommt mir vor, als stritten wir uns wegen einer Farbe, die keiner von uns je gesehen hat.«
    Ich bin zu höflich, dachte Arkadi. Irina steigerte sich so sehr in eine eisige Abwehrhaltung hinein, dass sie bald unerreichbar sein würde.
    »Sie haben also an Valeria geschrieben, bevor Sie wegen ungenügender Leistungen von der Universität geflogen sind«, begann er erneut. »Ich bin nicht wegen ungenügender Leistungen geflogen!« antwortete sie heftig. »Sie wissen genau, weshalb ich relegiert worden bin!«
    »Geflogen, relegiert, was für einen Unterschied macht das schon? Sie haben die Universität verlassen müssen, weil Sie öffentlich verkündet haben, dass Sie Ihr Vaterland hassen. Das Land, dem Sie Ihre Ausbildung verdanken! Das lässt nicht gerade auf Intelligenz schließen.«
    »Denken Sie meinetwegen, was Sie wollen.«
    »Dann kriechen Sie vor einem Ausländer, der Ihre beste Freundin ermordet hat. Aber das hat eben politische Gründe! Sie sind eher bereit, einem Amerikaner mit blutigen Händen die unwahrscheinlichsten Lügen zu glauben, als Ihren

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