Gotland: Kriminalroman (German Edition)
Ein Stuhl mit hoher Rückenlehne stand zwischen Sofa und Fernseher.
Im weiß lackierten Regal unter dem Fernseher standen zwei Reihen DVDs. Fredrik ließ den Blick über die Titel schweifen. Es waren vor allem Klassiker aus den Vierziger-, Fünfziger- und Sechzigerjahren, dazwischen die eine oder andere farbenfrohe Walt-Disney-Hülle, die wahrscheinlich für Enkelkinder auf Besuch gedacht war.
»Wie geht es deinem Rücken?«, fragte Fredrik.
»Es wird«, erwiderte Lennart.
Er legte die Handflächen auf die Hüften und streckte sich.
»Sobald ich im Sitzen einen ganzen Film ohne Pause aushalte, fange ich wieder an zu arbeiten, aber so weit bin ich noch nicht.«
»Armer Kerl, dass du hier den ganzen Tag hocken und halbe Filme angucken musst.« Sara deutete auf die gut bestückte DVD-Sammlung.
»Es ist die Hölle«, grinste Lennart.
Er wendete Sara den Rücken zu und verschwand im angrenzenden Zimmer. Durch den Türspalt konnte Fredrik einen Esstisch erkennen.
Das Haus war modern und hatte helle, nicht besonders große Räume. Im Wohnzimmer herrschten Weiß und verschiedene Blauschattierungen vor. Zarte Vorhänge dämpften das Licht, das durch die hohen Fenster fiel. Davor lag eine Holzterrasse. So ein Haus hätte man Lennart Svensson eigentlich gar nicht zugetraut.
»Im Ernst, ihr jungen Leute solltet euch freuen, solange ihr noch intakte Bandscheiben habt. Es mag vielleicht auf euch lächerlich wirken, aber mir ist nicht nach Lachen zumute«, sagte Lennart, als er mit den beiden Tagebüchern wiederkam.
»Ich weiß, wie das ist, mein Opa hat auch immer Rückenschmerzen«, sagte Sara.
Lennart sah sie an, seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, und dann brach er in ein kurzes, fast lautloses Lachen aus.
»Tja, wer den Schaden hat … Nehmt sie mit.«
Fredrik nahm die beiden Bücher mit dem hellgrauen Stoffeinband, auf den ein schwarzes Spitzenmuster gedruckt war.
»Vielleicht hätte ich sie euch bringen sollen, aber ich wollte vermeiden, mit dem Auto zu fahren, weil das Gift für den Rücken ist. Außerdem hat seit deinem Anruf niemand mehr nach ihnen gefragt.«
»Sie wurden auch von niemandem vermisst«, sagte Fredrik.
Er reichte Sara eines der beiden Bücher.
»Guck dir den Juli und den August an.«
Dann schlug er die Seite auf, die Lennart ihm am Telefon vorgelesen hatte.
»Hier ist es: ›Siebter Juli. Heute sind wir raus zur Insel gesegelt. Wir haben früh in Klintehamn abgelegt. Guter Wind. Sind die ganze Strecke gesegelt. Arvid sagte, die Götter seien mit uns. Das glaube ich auch. Ein herrlicher Tag, knallblauer Himmel und warm. Ab Hoburgen hatten wir die ganze Zeit achterlichen Wind.‹«
Er sah Sara und Lennart an.
»Welche Insel könnte er gemeint haben? Wenn man in Klintehamn abgelegt und Hoburgen umrundet hat, segelt man doch an der Ostküste entlang nach Norden, oder?«
»Falls sie nicht unterwegs zum estnischen Schärengarten waren«, sagte Sara.
»Das ist natürlich durchaus möglich und wäre damals bestimmt ein echtes Abenteuer nach Arvid Traneus’ Geschmack gewesen«, stimmte Fredrik ihr zu.
»Wenn wir uns erst einmal auf Gotland beschränken, kann es sich an der Ostseite eigentlich nur um Östergarnsholm handeln«, sagte Lennart. »Es gibt noch andere Inselchen, aber das sind nur kleine Grasflecken mit ein paar wütenden Möwen und keine wirklich attraktiven Ausflugsziele.«
Schweigend las Fredrik weiter.
»Hier gibt es nicht viele Anhaltspunkte. Sie schreibt über die Kinder, das Essen und das Wetter. ›Wir haben beim Leuchtturm angelegt. Rickard und Elin waren an Land, bevor Arvid das Boot ordentlich vertäut hatte.‹«
»Das könnte überall sein«, sagte Lennart.
»Hier«, sagte Sara plötzlich, »1993, ein Jahr vorher, da steht auch was über die Abenteuer .«
»Lies vor«, sagte Lennart.
Sara warf ihm einen kurzen Blick zu, behielt aber für sich, was ihr auf der Zunge lag, und fing an zu lesen.
»›Einundzwanzigster Juli. Um acht Uhr morgens hat die Abenteuer in Klintehamn abgelegt. Schwacher Wind. Würden wir es ohne Motor schaffen? Wir haben den Spinnaker gesetzt.‹«
»Ruf die Tochter an«, unterbrach Lennart sie, »die muss es doch wissen.«
»Elin Traneus?«
»Ja«, sagte Lennart, »das wäre das Einfachste. Sofern ihr sie nicht aus irgendeinem Grund aus der Sache heraushalten wollt.«
Sara und Fredrik sahen sich an.
»Mehr steht da nicht?«, fragte Fredrik.
Murmelnd überflog Sara ein paar Absätze, dann las sie wieder laut vor:
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