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Gotland: Kriminalroman (German Edition)

Gotland: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Gotland: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Östlundh
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nicht mehr, aber weit hinter sich hatte sie dieses Alter auch noch nicht gelassen.
    Sie presste die Finger an die Wangen und riss die Augen auf.
    »Schon okay.«
    »Wir können zum nächsten Punkt …«
    »Nein, es ist wirklich okay, ich musste nur nachdenken. Es ist echt seltsam, hier zu sitzen und darüber zu reden.«
    »Das kann ich verstehen«, sagte Göran.
    »Ich habe das Gefühl, keine Eltern mehr zu haben. Ich meine, das habe ich ja auch nicht, aber ich meine beide.«
    »Ich kann Ihnen nicht ganz folgen.«
    »Ich bin wohl etwas durcheinander. Ich bin gekommen, um die Rückkehr meines Vaters zu feiern, obwohl ich überhaupt keine Lust dazu hatte. Jetzt ist Mama tot, und mein Vater wird verdächtigt, sie umgebracht zu haben.«
    »Glauben Sie, dass er es getan hat?«, fragte Göran.
    »Glauben Sie es denn?«, fragte sie zurück.
    »Was denken Sie?«
    »Komisch, dass es so lange gedauert hat.«
    Sie schlug die Hand vor den Mund.
    »Verzeihung, es hört sich krass an«, murmelte sie zwischen den Fingern, »aber es ist wahr.«
    Sie nahm die Hand wieder herunter und schluckte.
    »Ich habe ein fünfeinhalb Jahre langes und sehr anspruchsvolles Studium in Stockholm begonnen, um mich möglichst von hier fernzuhalten. Das ist natürlich nicht der einzige Grund, aber es ist ein sehr angenehmer Nebeneffekt.«
    Sie verstummte, wendete aber nicht den Blick ab. Göran sagte nichts. Was sollte er sagen? Stattdessen schaute er sie unsicher an.
    »Machen Sie sich keine Sorgen um mich«, sagte sie nach einer Weile. »Es ist nur so seltsam, darüber zu sprechen.«
    »Wie war das Verhältnis zwischen Ihren Eltern?«
    »Es war …« Sie dachte lange nach. »Er hat sie geschlagen«, fuhr sie schließlich fort. »Obwohl ich das in gewisser Hinsicht wohl schon gesagt habe. Er hat sie geschlagen, und wenn Sie mich fragen, was ich glaube, dann war er derjenige, der … sie umgebracht hat. Es fällt mir schwer, das zu sagen. Das hätte ich nie gedacht, denn ich habe mich wirklich von ihm abgewendet, für mich ist er ein riesiges Arschloch, und trotzdem widerstrebt es mir irgendwie …«
    Sie verstummte und schluckte mühevoll ihre Tränen hinunter. Das enge weiße Verhörzimmer war vollkommen still. Es war nicht schwer zu verstehen, dass ihr das Ganze unwirklich vorkam.
    »Was ist mit Anders Traneus und Ihrer Mutter? Wie standen sie zueinander?«
    »Das ist ja so unbegreiflich. Jeder andere Mann, meinetwegen, aber Anders Traneus … ich kenne den eigentlich gar nicht. Ich weiß ja kaum, wer diese Leute sind. Anders Traneus und wie hieß er gleich … Karl-Johan. Unsere Familie war wie eine Insel, vor allem gegenüber dem Rest der Sippschaft, aber auch sonst. Ich verstehe nicht, was er im Haus wollte.«
    Göran Eide wurde aus diesem Verhör nicht klug. Es bewegte sich ruckartig hierhin und dorthin, ergab Informationen, wurde aber nicht konkret. Elin war so gut wie sicher, dass ihr Vater der Mörder ihrer Mutter war, aber diese Annahme beruhte in erster Linie auf einem Gefühl. In den letzten Jahren hatte sie nicht viel Zeit mit ihrer Familie verbracht. Arvid Traneus auch nicht. Wie viel wusste sie überhaupt über das Verhältnis zwischen ihren Eltern?
    »Sie sagen, Ihr Vater habe Ihre Mutter geschlagen. Ich verstehe, dass es nicht leicht für Sie ist, aber könnten Sie Näheres darüber sagen? Wie haben Sie es erfahren?«
    »Ich habe es nie gesehen. Er hat es immer so gemacht, dass wir es nicht mitbekamen. Aber ich habe es schon früh kapiert. Und Stefania war ja älter und cleverer, sie konnte besser mit ihm umgehen als wir. Sie konnte ihn auf andere Gedanken bringen, aber sie konnte nicht immer da sein.«
    »Wissen Sie noch, wie Sie es herausgefunden haben?«
    »Man hat es gemerkt. Wir hörten Mama weinen, wir sahen das Ergebnis, manchmal blaue Flecken, aber vor allem war sie am Boden zerstört. Sie bewegte sich anders, sie wurde eine andere.«
    »Wie oft haben Sie diese Anzeichen bemerkt?«, fragte Göran.
    »Oft genug. Allerdings zu selten, um zu wissen, wann es passierte. Manchmal war es abzusehen, aber meistens explodierte er ganz plötzlich. Man konnte sich fast einbilden, wir wären eine ganz normale Familie, jedenfalls als ich klein war, aber als ich größer wurde und mehr verstand, so wie Stefania, wurde mir klar, dass es nie so sein würde. Dass es nie wieder gut werden würde.«

30
     
    Der ganze Ort schien den Atem anzuhalten. Nicht vor Schreck, sondern weil man fürchtete, etwas zu verpassen, wenn man zu laut Luft

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