Gotland: Kriminalroman (German Edition)
verdammt noch mal.«
»Ich finde es sehr merkwürdig, Sachen zu erzählen, die man nicht selbst gesehen hat. Äußerst merkwürdig.«
Er hatte sich mit verschränkten Armen im Bett aufgesetzt. Stur und störrisch.
»Sie ist ermordet worden. Ermordet, Ricky. Wir müssen doch erzählen, was wir wissen und was wir gesehen haben.«
Ihre Nase lief. Sie weinte und schrie die Worte heraus und wunderte sich, dass er sie überhaupt verstand.
»Geh doch runter, und erzähl es den Reporterinnen, wenn du so wichtige Dinge zu sagen hast.«
Sie sprang auf. Der Stuhl rollte zurück und prallte dumpf gegen den Schreibtisch. Elin rannte aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Sie hörte Rickys Schritte.
»Elin!«
»Ich gehe da schon nicht runter! Hältst du mich für total bescheuert?«, schrie sie.
Dann schloss sie sich im Badezimmer ein.
Dieser Idiot, dieser Idiot. Dabei war er so gut. Sie sah sich selbst im Badezimmerspiegel, wendete den Blick ab und sank auf den Klodeckel.
»Mama«, heulte sie, »ich will meine Mama wiederhaben.«
Unfreiwillig trommelten ihre Füße auf die angenehm warmen Natursteinfliesen. Der Duft von Zitrone und Vanille wehte von der Seifenschale zu ihr herüber.
»Mama, Mama, Mama«, wisperte sie zwischen den Schluchzern, »meine arme Mama.«
Sie weinte wie ein Kind, und das war sie ja auch fast noch. Die Tränen wurden groß und fielen als dunkelgraue Tropfen auf den hellen Stein.
31
Die Häuser leuchteten von innen. Jeder Schritt explodierte wunderbar auf den Pflastersteinen.
Der Nebel trieb in Schwaden vom Meer herein und legte sich auf das Pflaster, das so feucht wurde, als hätte es geregnet. Die Kälte machte ihm nichts aus. Rings um ihn knisterte es. Jede seiner Bewegungen erzeugte heiße Wellen in der kalten Luft, als wäre er von einem schützenden Feld umgeben. Wie ein Toaster. Über den albernen Vergleich musste er kichern.
Planlos streifte er durch die Gassen, durch die feuchte Dunkelheit, die von Lichtflecken durchlöchert war. Die altertümlichen Straßenschilder las er nicht, er ließ sich einfach treiben.
Vor einem windschiefen Haus, das ihn anzuspringen schien, machte er halt. Das Licht hinter den Fenstern war warm und einladend. Er kam plötzlich so nah, stand fast bei jemandem im Wohnzimmer. Ein Mann fläzte auf dem Sofa und sah fern. Ein Stockwerk höher eine Frau in einer Küche. Sie holte etwas von der Spüle, er konnte den Wasserhahn erkennen. Eine Weile stand sie ganz friedlich mit einem Glas in der Hand da und blickte hinaus ins Nichts – oder in sich hinein.
Waren das Träume von einem Zuhause, von Ruhe und Geborgenheit, so unzeitgemäß wie diese Stadt? Vielleicht waren sie nicht echt. Vielleicht waren das nur seine Träume und Sehnsüchte.
Langsam, zögerlich tastete er nach dem Handy in seiner Hosentasche. Er schaltete es ein und verfolgte mit übertriebener Aufmerksamkeit das tanzende Logo und die Erkennungsmelodie, die mit einem kurzen Vibrieren endete. Er gab seinen Code ein und begann sofort, nach der Nummer zu suchen.
Elin stand in der Küche, als es passierte. Draußen war es dunkel. Sie trank ein Glas Wasser, so kalt, dass nicht nur die Zähne wehtaten, sondern auch die Hand, die das Glas hielt.
Als sie wieder aus dem Badezimmer gekommen war, war Ricky verschwunden gewesen. Sie hatte nicht gehört, wie er gegangen war, aber das wunderte sie nicht. Beim Umdrehen des Badezimmerschlüssels hatte sie das Gefühl gehabt, geschlafen zu haben. Ihr Körper war schwer und ihr Kopf leer. Es fühlte sich gut an oder zumindest viel besser als vorher. Wie wenn man sich gesund schlief.
Erst nach einer Weile hatte sie gemerkt, dass sie allein im Haus war. Sie hatte erwartet, dass Ricky sich bemerkbar machen würde, wenn er sie hörte. Aber das Haus war mucksmäuschenstill. Sie hatte in sein Zimmer geguckt, war wieder hinaufgegangen, um einen Blick ins Arbeitszimmer zu werfen, und schließlich hatte sie laut gerufen.
Er musste sich an den Reporterinnen vorbeigekämpft haben und mit dem Auto abgehauen sein. Ob die beiden überhaupt noch warteten? Als Elin herunterkam, waren sie nicht zu sehen. Waren sie Ricky gefolgt?
Sie hatte nichts dagegen, eine Weile allein zu sein. Es war ein schönes Gefühl, ruhig und gelassen zu sein, ganz allein. Doch als sie das Glas auf die Spüle stellte, zerplatzte die Stille.
Die Türklingel explodierte in einer langen Reihe von schrillen Tönen, gefolgt von zwei brutalen Schlägen gegen die Haustür, so heftig,
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