Gotland: Kriminalroman (German Edition)
Stapel Weinkartons offen gehalten wurde.
Fredrik gelangte in einen Lagerraum aus rotem Backstein, in dem zahlreiche Paletten mit ungeöffneten Weinkartons standen. Ein ratschendes Geräusch führte ihn zu einer Frau, die sich über eine Palette mit spanischen Navarra-Weinen beugte und mit einem hellgrünen Teppichmesser das Klebeband aufschlitzte.
»Sind Sie Marie Barsk?«, rief er durch den halben Raum.
Die Frau zuckte zusammen, stand auf und sah ihn fragend an.
»Ja, das bin ich.«
»Fredrik Broman, Polizei Visby«, sagte er und zeigte noch einmal seine Marke. »Sie haben uns einen Hinweis gegeben, über den ich mich gern mit Ihnen unterhalten würde.«
Marie Barsk hielt den Teppichschneider noch immer in der Hand. Sie wirkte gestresst. Offenbar hatte sie nicht damit gerechnet, dass jemand vorbeikam, wenn man die in allen Zeitungen abgedruckte Nummer für Hinweise an die Polizei anrief.
»Gibt es ein Problem?«, fragte Fredrik.
»Nee.« Sie rührte sich nicht vom Fleck.
»Können wir uns vielleicht für einen Moment setzen?«
»Ja, im Pausenraum.« Nun erwachte die Frau aus ihrer Lähmung.
Sie legte das Messer auf einen der aufgeschnittenen Kartons und führte Fredrik zu einem Zimmer rechts des Lagereingangs. Er ließ ihr den Vortritt und zog die Tür hinter sich zu.
Es war ein kleiner weiß gestrichener Raum mit weißem Resopaltisch, sechs weißen Stühlen, einer Teeküche und einem Fenster zum Parkplatz. Zwischen Spülbecken und Kochplatten standen drei fliederfarbene Keramikbecher.
Sie setzten sich an den Tisch, Fredrik nahm aus alter Gewohnheit in der Nähe der Tür Platz.
»Ich bin wegen der Person gekommen, die Sie hier in der Weinhandlung gesehen haben.«
Marie Barsk hatte mittelblonde Naturwellen, die ihr ein Stück über die geraden Schultern fielen. Erst jetzt sah Fredrik, was an ihrem Blick so besonders war: In ihrer rechten Iris war ein weißer Fleck.
»Sie haben einen Namen genannt. Sind Sie sich diesbezüglich ganz sicher?«
»Natürlich. Wir sind schließlich fünf Jahre zusammen zur Schule gegangen.« Sie sah Fredrik an.
Obwohl sie seinem Blick nicht auswich, meinte er, etwas Unruhiges in ihren Augen zu erkennen, aber vielleicht lag es nur an diesem Fleck.
»Waren Sie in derselben Klasse?«
»Nein, er war eine Klasse über mir, hier auf der Högby-Schule.«
»Können Sie ihn beschreiben?«
»Klar. Er ist nicht besonders groß und hat etwas fisselige schwarze Haare, ungefähr bis hier.« Sie hielt die flache Hand gegen ihre Schulter.
»Er hat ein schmales Gesicht und sieht zurzeit ziemlich blass aus. Dick ist er nicht, aber kompakt. Er wirkt kräftig, aber nicht athletisch.«
»Wie groß genau?«
»Nicht gerade klein, aber … Er ist wohl mittel, vielleicht ein bisschen drunter. Hier im Laden hatte er immer eine Kapuze auf dem Kopf. Deswegen hat es auch ein bisschen gedauert, bis ich ihn erkannt habe.«
Vor dem Fenster hinter Marie bogen die Kunden in den Parkplatz der Hemse-Galleria ein.
»Konnten Sie trotz der Kapuze erkennen, dass er langhaarig ist?«
»Das sieht man doch. Aber ich weiß natürlich, dass er lange Haare hat.«
Aus dem Lager war ein gedämpftes Klirren zu hören.
»Wie oft haben Sie ihn hier im Laden gesehen?«
»Drei-, viermal.«
»Wann zuletzt?«
»Vorgestern.«
»Also am Mittwoch«, sagte Fredrik.
Marie Barsk nickte und zupfte an dem grauen Hemd, das alle Mitarbeiter der staatlichen Weinhandlung trugen.
»Sie haben nicht zufällig mitbekommen, ob er hier irgendwo in der Nähe wohnt oder ob er mit dem Auto hergefahren ist? Hatte er vielleicht Autoschlüssel in der Hand?«
»Keine Ahnung. Von hier aus sieht man ja nur ein Stück von der Straße, und wenn man mit dem Rücken zur Scheibe sitzt, sieht man gar nichts.«
Sie faltete die Hände auf dem Tisch, sah Fredrik an und wartete auf die nächste Frage.
»Was können Sie mir von Leo Ringvall erzählen? Was wissen Sie über ihn?«
»Wie gesagt, wir sind fünf Jahre auf dieselbe Schule gegangen, aber wir hatten nie näher miteinander zu tun. Manchmal waren wir zufällig auf derselben Party. Er begann dann bei Säve, hat aber nach dem ersten Jahr wieder aufgehört. Aber auch danach war er noch ab und zu hier in Hemse. Ich glaube, am Anfang hat die Familie in Klintehamn gewohnt, aber dann sind sie nach Hemse gezogen. Vor zehn, elf oder zwölf Jahren ist dann irgendetwas passiert, und sie sind alle weg.«
»Wissen Sie, wohin?«
»Aufs Festland. Nach Stockholm, glaube ich.«
»Wissen Sie,
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