Gotland: Kriminalroman (German Edition)
und begegnete kurz dem Blick von Polizeichefin Agneta Wilhelmsson. Es war höchste Zeit, neu anzufangen. Ohne darüber nachzudenken, steckte er die kleine Schokoladentafel in die Hosentasche, wo er sie zwei Stunden später geschmolzen und völlig zermatscht wiederfinden würde.
Ove Gahnström ging ans Telefon.
»Ove am Apparat.«
»Hier ist Carina. Ich habe einen Hinweis aus der Bevölkerung für dich, den du näher untersuchen solltest. Eine Verkäuferin vom Systembolaget in Hemse behauptet, sie hätte einen Typen gesehen, der vor langer Zeit mit einer der Töchter von Traneus’ zusammen war. Sie habe ihn seit Jahren nicht gesehen, aber plötzlich sei er wieder aufgetaucht, etwa zum gleichen Zeitpunkt, als die Morde in Levide geschahen. Offenbar war er schon ein paarmal im Laden, aber sie hat ihn erst jetzt erkannt. Sie glaubt, er sei eine Zeit lang auf die schiefe Bahn geraten, weiß aber nicht genau, was mit ihm los war.«
»Hast du die Mail schon abgeschickt?«, fragte Ove.
»Ja.«
Sein Computer war im Ruhezustand. Ungeduldig trommelte Ove mit den Fingern auf die Maus, während er darauf wartete, dass sich das Mail-Programm reaktivierte. Endlich konnte er die Nachricht öffnen. Eilig überflog er den Text.
»Hast du dir keine Beschreibung geben lassen?«, fragte er, während sein Blick über die letzten Zeilen huschte.
»Äh … nein, daran habe ich nicht gedacht, weil sie sich bei dem Namen so sicher war.«
»Sie war sich sicher?«
»Ja, kein Zweifel«, antwortete Carina.
Leo Ringvall, las Ove auf dem Bildschirm.
»Gut, dass du angerufen hast.«
»Klar.« Mit einem Klick verschwand Carina aus der Leitung.
Als Ove auflegte, eilte Fredrik draußen auf dem Flur vorbei. Ove rief ihn.
»Was hältst du davon?« Ove zeigte auf den Bildschirm. »Leo Ringvall, ungefähr dreißig, kriminelle Vergangenheit, hatte über die mittlerweile verstorbene Tochter Stefania vor langer Zeit eine Verbindung zur Familie Traneus. Er ist zum Zeitpunkt der Morde wieder in Hemse aufgetaucht.«
Fredrik beugte sich vor, um besser lesen zu können.
»Kriminelle Vergangenheit, was immer das heißen mag.«
»Es ist ein bisschen weit hergeholt, aber interessant«, sagte Ove. »Könntest du die Frau vielleicht vernehmen?«
»Wenn du so nett fragst, kann ich nicht Nein sagen«, erwiderte Fredrik und grinste.
Ove grinste breit zurück.
»Prima, dann sind wir uns ja einig.«
Fredrik sah wieder auf den Bildschirm.
»Wenn er mit der Tochter zu tun hatte, weiß er, dass es dort viel zu holen gibt. Er steckt in der Klemme und kommt auf die Idee, den Leuten einen Besuch abzustatten.«
»Lass mal sehen«, sagte Ove, »Carina hat die Personennummer nicht nachgeschlagen, aber wir müssten die Suche trotzdem eingrenzen können …«
Ove füllte ein Nachforschungsformular aus und schickte es mit einem Mausklick ab. Schweigend betrachteten die beiden das Ergebnis: Aufgrund einer schweren Gewalttat hat Leo Ringvall eine dreijährige Gefängnisstrafe abgesessen und war vor weniger als drei Wochen freigelassen worden.
»Das könnte eine Spur sein«, sagte Fredrik.
Ove klickte ein Bild an. Vom Bildschirm starrten ihnen blassgraue Augen aus einem länglichen Gesicht entgegen, das von schulterlangen schwarzen Haaren eingerahmt wurde.
»Lange, schwarze Haare«, sagte Ove.
Er schrieb den Namen der Zeugin auf seinen Block, riss das Blatt ab und reichte es Fredrik.
»Du vernimmst diese Frau, und ich rede mit Göran.«
Von hektischen Wochenendeinkäufen war beim Systembolaget in Hemse nichts zu spüren. Einige wenige Kunden schlenderten mit grauen Einkaufskörben durch die Gänge und ließen ihre Blicke über die Regale schweifen. Vor einigen Jahren hatte man auf Selbstbedienung umgestellt. Die schwedische Alkoholpolitik war dem Untergang geweiht. Fredrik schätzte, dass spätestens in zehn Jahren der größte Traum der Schweden in Erfüllung gehen würde: Wein und Schnaps in jedem Supermarkt.
An der einzigen besetzten Kasse saß ein junger Mann mit goldgelben Strähnen im rotbraunen Haar. Fredrik zeigte ihm seine Dienstmarke.
»Ich suche Marie Barsk.«
»Die ist im Lager.« Der Mann an der Kasse sah sich ratlos um.
Er wollte nach dem Haustelefon greifen, hielt dann aber inne.
»Wahrscheinlich können Sie einfach reingehen, Sie sind ja von der Polizei.« Er grinste schief.
»Ich werde versuchen, mich zu beherrschen«, erwiderte Fredrik.
»Einfach gerade durch.«
Er zeigte auf eine graue Tür in der hinteren Ecke, die von einem
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