Gott bewahre - Niven, J: Gott bewahre - The Second Coming
Becky heute toll aus, ihr langes schwarzes Haar und ihre sommersprossige Haut sanft im Schein der Lampions schimmernd. Unauffällig schaut JC zu, wie sie ihre langen Beine auf dem Laken vor sich ausstreckt. Alle paar Minuten sieht sie zu ihren schlafenden Jungs hinüber. Das Mädel hatte sich ganz schön gemacht seit ihrer ersten Begegnung vor ein paar Jahren. Ein gemeinsamer Freund, der mit Morgan zusammen als Spülkraft arbeitete, hatte sie einander vorgestellt. Ursprünglich aus Ohio, war Becky damals so schön, wie sie fertig war: Zwar war sie gerade vom Crack runter, doch sie soff noch immer wie ein Loch. Jedem war bekannt, dass sie hin und wieder ein paar Dollars verdiente, indem sie für einen Escortservice anschaffen ging. Sie lebte mit der ständigen Bedrohung, dass man ihr die Kids wegnahm, und stand auch noch kurz davor, aus ihrem Ein-Zimmer-Dreckloch in der Lower East Side rausgeworfen zu werden. Jesus und seine Jungs kratzten etwas Geld zusammen, um einen Teil der ausstehenden Miete zu begleichen, und JC bequatschte den Vermieter. Letztendlich hatte der Typ ein Einsehen, und Becky durfte ihre Bude behalten. Das sollte sich als eine Art Wendepunkt in ihrem Leben erweisen - und in Anbetracht ihrer Vorgeschichte war es alles andere als selbstverständlich, das Mädchen jetzt clean und nüchtern zu sehen. Sie kümmerte sich liebevoll um ihre Jungs und bemühte sich, einen Job zu finden, obwohl das für eine Sechsundzwanzigjährige ohne Qualifikationen und mit zwei kleinen Kindern alles andere als einfach war. Scheiße, was war schon einfach in New York? Dabei stellte sich Becky, nachdem sie von den Drogen runter war, als echtes Organisationstalent heraus. Es schmerzte JC,
mitansehen zu müssen, wie all dieses Potenzial Tag für Tag vergeudet wurde, meistens für unterbezahlte Jobs, die sie im Schlaf hätte erledigen können.
Kris beugt sich im Schein eines gelben Lampions vor, um einen besseren Blick auf JCs Gesicht zu erhaschen. »Wow. Nun sieh dir mal diese Nase an. Tut’s sehr weh?«
»Ach, weißt du, heute Nacht sind da draußen wesentlich schlimmere Sachen passiert. Was ist da schon eine gebrochene Nase?« Er deutet über die Hausdächer hinweg auf die unter der Hitze ächzende Stadt.
Kris sieht hinüber zu ihrem Häuflein Verirrter und Gestrandeter und seufzt. »Wir kämpfen gegen Windmühlen, JC. Es ist jeden Tag dasselbe: Wir können den Leuten gerade mal bei ihren dringendsten Problemen helfen, hier etwas zu essen besorgen, dort ein paar Medikamente, hin und wieder ein wenig Geld.«
»Ich weiß, Mann. Wir ...«
»Ich mein, versteh mich bitte nicht falsch, ich liebe dich und so, aber ... wir haben seit Monaten keinen Gig gehabt.
Ach, was sag ich: Gig? Wir haben seit Monaten nicht einmal geprobt .«
»Weiß ich, Mann. Wir hatten einfach zu viel um die Ohren. Wir müssen halt tun, was wir können, bis ...«
»Bis was?«
»Bis sich die Gelegenheit ergibt, mehr tun zu können, nehme ich an.«
»Und das heißt? Wir warten auf, ähm, ein Zeichen oder so was?« Kris blickt ihn erwartungsvoll an.
»Ja, vielleicht«, sagt Jesus. »Irgendwas wird passieren.«
Kris nickt. Obwohl er gegenüber Morgan nie ein Wort darüber verlieren würde, dachte er manchmal, dass an dieser Sohn-Gottes-Sache doch etwas dran war, wenn er JC in die Augen sah, wenn dieser etwas sagte - oder öfter noch, wenn er etwas spielte. Oder vielleicht dachte er auch bloß, dass JC es einfach verdient hatte, ein Star zu werden. Er war der
beste verdammte Frontmann, mit dem Kris jemals zusammengespielt hatte. Es war wie damals, als sie noch Kids waren: Wenn Kurt Cobain da gesagt hätte, er sei der Sohn Gottes, dann hätte Kris ihm das auch abgenommen. Ohne mit der Wimper zu zucken.
»Jetzt mach schon!«, ruft einer der anderen. Jesus blickt hinüber. Mit der Gitarre unterm Arm schlurft Bob auf ihn zu, streckt sie ihm abermals entgegen.
»Ach kommt, Leute«, sagt Jesus, »will denn sonst keiner was singen?«
»Jetzt lass dich nicht ewig bitten und spiel endlich was für uns«, fordert Morgan ihn auf.
»Also gut, einen Song«, gibt Jesus nach und greift sich die Gitarre. »Was wollt ihr hören, Leute?«
»Irgendwas Altes!«, ruft Gus.
»Was Altes ... was Altes ...«, murmelt Jesus, während er das Instrument stimmt. Die Gitarre von Al ist ein runtergerocktes Stück Schrott. Es ist unmöglich, sie vernünftig zu stimmen. Er greift ein paar Harmonien, stimmt die H-Saite einen Tick rauf. »Das sollte für Country reichen«, sagt
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