Gott bewahre - Niven, J: Gott bewahre - The Second Coming
Himmel. »Da, seht doch«, sagt er.
Die Arbeiter - hoch oben auf ihrem Baugerüst - hatten es über Nacht dort aufgehängt. Zehn Meter hohe Blockbuchstaben verkünden: AMERICAN POP STAR!
In die Morgensonne blinzelnd lesen sie weiter. Unter dem Foto eines schwarzen Mädchens, das mit in den Nacken geworfenem Kopf in ein Mikrofon singt, stehen in etwas kleinerer Schrift die Worte: STAFFEL 3: DIE SUCHE BEGINNT ...
Gespannt beobachtet Kris, wie Jesus, Carol und Morgs beim Lesen lautlos die Lippen bewegen.
DIESEN HERBST AUF ABN
»Ja, und?«, fragt Jesus und blickt irritiert zu Kris.
PLATTENVERTRAG ÜBER 1.000.000 $
»Lies weiter. Ganz unten.«
CASTINGSTART LANDESWEIT AM 10. JULI
»Ja?«, sagt Jesus.
»Jetzt hör mir mal zu«, Kris packt ihn bei den Schultern. »Du wirst dich bei dieser Show bewerben, und du wirst sie natürlich gewinnen . Na? Kapiert?« Kris strahlt jetzt wie ein Honigkuchenpferd und vollführt ein Tänzchen auf dem Bürgersteig. Carol bricht in Gelächter aus.
»Heilige Scheiße«, sagt Morgan mit Blick auf Kris zu Jesus. »Und ich dachte, du wärst derjenige, dem man nachsagt, einen an der Waffel zu haben ...«
»Du bist doch nicht mehr ganz bei Trost«, sagt JC zu Morgan beim Kaffee im Diner um die Ecke. »Diese Shows sind doch für’n Arsch, Mann. All diese aufgedonnerten, rückgratlosen, heulsusigen, Balladen trällernden Mainstream-Schlampen. Ich hab bei so was noch nie jemanden gesehen, der rockt.«
»Ach ja?«, fragt Kris. »Dann zeig ihnen doch, wie man rockt.«
»Hey«, sagt Jesus. »Sollen wir uns ein paar Waffeln teilen?«
»Alter, jetzt hör doch mal zu ...« Kris schließt die Speisekarte.
»Kris«, unterbricht ihn Morgan, »er hat völlig Recht. Komm schon - diese Shows sind nichts als gequirlte Kacke.«
»Na und? Wenn du da hingehst und den Leuten zeigst, was ’ne Harke ist, dann wird auch dem letzten Idioten ein Licht aufgehen. Und dann, nun, dann übernehmen wir«, erklärt Kris. »Leute, das ist es. Das ist das Zeichen.«
»Das ist kein Zeichen, sondern ein Werbeplakat«, erwidert Jesus. »Ist auch egal, die werden nie zulassen, dass man mit der eigenen Band da aufkreuzt. Da wette ich drauf. Stimmt doch, oder? Man muss mit der Hausband auftreten.«
»Und?«, fragt Kris.
»Und das ist für’n Arsch.«
»Es ist nicht völlig für’n Arsch«, widerspricht Kris. »Du bist verdammt gut. Willst du etwa ernsthaft behaupten, wenn Jimi Hendrix mit der Hausband gespielt hätte, dann hätte er verkackt?«
»Wahrscheinlich nicht, okay«, bei der Erinnerung an die Jamsessions mit Jimi ringt sich Jesus ein Lächeln ab - nicht ohne sich zu fragen, was Hendrix da oben wohl gerade so trieb. Wahrscheinlich ließ er sich flachlegen. »Mir wäre es halt lieber, wenn ich euch Jungs dabeihätte.«
»Scheiß drauf«, sagt Morgan. »Vielleicht liegt unser Dickerchen hier ja gar nicht so falsch. Weißt du was, ich würde damit klarkommen, zu Hause vorm Fernseher zu sitzen
und mich über deinen verängstigten weißen Arsch kaputtzulachen. «
»Ich hab keine Angst«, erwidert Jesus.
»Wo liegt dann dein Problem?«
»Ich habe keine Angst davor, in so einer bescheuerten Fernsehshow aufzutreten.«
»Dann beweis es doch«, sagt Kris.
»Ja, beweis es, du feige Socke!«
»Ich ...«, Jesus muss lachen. »Alles klar. In Ordnung. Scheiß drauf, euch werd ich’s zeigen. Ich gehe zu dem beknackten Casting. Okay? Seid ihr Penner jetzt glücklich?«
»Absolut«, sagt Kris.
»Na schön. Dann sind ja alle glücklich. Prima. Könnten wir dann jetzt endlich was zum Frühstück bestellen, ja?«
»Bestell, was du willst«, sagt Morgan. »Wir halten dich nicht auf.«
»Gut. Okay. Ich nehme die Waffeln.« Er schlägt die laminierte Karte wieder auf. Ein seltener Anblick: Jesus ist nervös. Morgs und Kris stupsen einander in die Rippen und lehnen sich zurück, um den Anblick zu genießen.
»Ich nehme die Waffeln«, wiederholt Jesus.
6
D AS ABN-GEBÄUDE AM TIMES SQUARE: DIE SCHLANGE der Freaks staut sich entlang der Westseite des Platzes, zieht sich um die Ecke bis auf die 42 nd Street und reicht über mehrere Blocks die halbe Strecke zur Eighth Avenue runter. Der riesige LED-Bildschirm über der Coca-Cola-Werbung verkündet in leuchtenden Lettern: AMERICAN POP STAR — DIE SUCHE BEGINNT HIER! Polizisten patrouillieren zu Fuß und zu Pferd, scheuchen die Leute von der Straße und halten die Kreuzungen frei. Wohl wissend, dass den Wartenden ein langer, heißer Tag bevorsteht, arbeiten sich
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