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Gott bewahre - Niven, J: Gott bewahre - The Second Coming

Gott bewahre - Niven, J: Gott bewahre - The Second Coming

Titel: Gott bewahre - Niven, J: Gott bewahre - The Second Coming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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das
Intro schließlich auf einem offenen G zu beenden, das er sanft anschlägt, während er den Lautstärkeregler mit dem kleinen Finger herunterdreht. Sein Gesang ist beinahe zärtlich, ungewöhnlich klar und ruhig. Mit geschlossenen Augen nickt er im Takt.
    Kaum hat er die erste Zeile beendet, blicken Jansen und Roger einander an. Als er den ersten Refrain singt, sehen sie nur noch ihn an, wie er den Kopf sanft von einer Seite zur anderen neigt, ein leichtes Lächeln im Gesicht, die Augen immer noch geschlossen, hochkonzentriert, während er sachte die Akkorde anschlägt, die Worte mit seiner kristallklaren Stimme beinahe flüsternd:
    »The only living boy in New York...«
    Clare und die Sicherheitsleute, die hinter ihm stehen, sind ebenfalls hin und weg.
    Nach dem zweiten Refrain improvisiert er ein ökonomisches, aber hochmelodisches Solo, bevor er zum großen Finale ansetzt, die Lautstärke der Gitarre hochregelt und den Kopf in den Nacken wirft, während er sich mit der ganzen Ausdruckskraft seiner Stimme in die letzte Zeile des Songs fallen lässt:
    »Hey — let your honesty shine, shine, shine ... «
    Jansen spürt ein Prickeln auf ihrer Haut, als würde jemand mit einer Feder drüberstreichen. Im unbarmherzigen Licht des Scheinwerfers strahlen seine wasserklaren Augen so hell wie der Song, sein blondes Haar schimmert. Ihr wird bewusst, dass ihr Mund offen steht. Er beendet den Song mit einem jubilierenden Tremolo und lässt das eingestrichene G auf dem zwölften Bund offen ausschwingen.
    Stille. Dann ein Geräusch, das Jansen trotz unzähliger APS-Castings erst bei einer Handvoll Gelegenheiten gehört hat: Applaus — von Roger, Clare, selbst von den Security-Schränken.
    »Also gut«, sagt sie, nachdem sie sich gesammelt hat, und zeigt mit ihrem Montblanc auf Jesus. »Setz dich, mein Hübscher. Und erzähl uns was über dich.«
    Jesus erzählt ihnen seine Geschichte.

8
    S EHR VIEL SPÄTER BEENDET SAMANTHA JANSEN EINE Telefonkonferenz mit ihrem Boss und den Produktionsleitern der restlichen Castingcenter. Als ihre Kollegen in Chicago, North Carolina und Kalifornien aufgelegt haben - »Tschüss, Bob ... bis später, Trish ... mach’s gut, Ted« -, sagt sie: »Ähm, hättest du wohl noch eine Minute für mich, Boss?« und bleibt in der Leitung.
    »Heute im Casting, da war dieser eine Typ - den Mitschnitt habe ich dir eben gemailt -, der hatte was.«
    »Mmmm?« Der Boss klingt gelangweilt, saturiert, weit weg. Wie üblich.
    »Ja, wirklich. Und sag jetzt bitte nicht, was du bei solchen Gelegenheiten immer sagst. Er hat eine Nummer von Simon & Garfunkel gesungen, sich dazu auf der E-Gitarre ...«
    »Himmel, Sam, komm mir doch nicht mit dieser Scheiße. Das Letzte, was ich in der verfickten Show gebrauchen kann, ist noch so ein Wichser, der auf der Gitarre rumschrammelt ...«
    »Ich weiß. Weiß ich doch. Lass mich bitte ausreden. Er wird es nie bis ins Finale schaffen. Aber er ist gut, er ist ein Hingucker, hat eine großartige Stimme, und - jetzt kommt’s - er heißt Jesus. Er hält sich allen Ernstes für Jesus Christus. Ich meine, er glaubt wirklich, er sei zur Erde geschickt worden, um die Menschheit zu retten oder so was.«

    »Er hat ernsthaft nicht mehr alle Tassen im Schrank?«, sagt der Boss, jetzt mit deutlich mehr Interesse.
    »Völlig gaga, wie du es nennen würdest«, bestätigt Jansen, mehr schlecht als recht seinen britischen Akzent imitierend. »Na gut, er ist nicht irre- irre . Nicht wie dieser andere Kerl, der uns heute vor die Füße geschissen hat ...«
    Der Boss bricht in gackerndes Gelächter aus. » Das Tape hättest du mir schicken sollen.«
    »Aber er ist es definitiv wert, ihm eine Chance zu geben.«
    »In Ordnung. Deine Entscheidung, vorläufig. Halt mich auf dem Laufenden.«
    »Mach ich. Ciao, Steven.«
    »Alles klar, bis später.«
    Klick.

9
    T RIEFÄUGIG UND ÜBERNÄCHTIGT SCHLENDERT JESUS am nächsten Tag zur Rezeption des ABN-Komplexes, in der Hosentasche die ausgefüllten und unterschriebenen Formulare. Sie sind voller Wein-und Kaffeeflecken, verschmiert von der Asche zahlreicher Joints und Zigaretten — schließlich waren sie bis in die frühen Morgenstunden Gegenstand einer heftigen Diskussion zwischen ihm, Kris und Morgan gewesen.
    Jesus und Kris hatten die Formulare bereits ausgefüllt, sorgfältig sämtliche persönlichen Angaben eingetragen, hier und da ein bisschen was geschönt, als Morgan einen Blick aufs Kleingedruckte warf.
    »Heilige Scheiße«, rief er. »Das

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