Gott bewahre - Niven, J: Gott bewahre - The Second Coming
Sendung gehen, was ihnen für die Reise nach L. A. beinahe zehn Tage Zeit gab. Sie mussten also pro Tag nur zweihundertfünfzig Meilen schaffen, was angesichts des Verkehrsaufkommens, einiger Pinkelpausen
und der üblichen Pannen eine tägliche Fahrtzeit von rund sechs bis sieben Stunden bedeutete. Dementsprechend gab es keinen Grund, ins Schwitzen zu geraten. Obwohl, ins Schwitzen gerieten sie auch so. Denn eines hatte auch Bob nicht wieder zum Laufen gekriegt: die vorsintflutliche Klimaanlage des Busses. Aber drauf geschissen ... Jesus hatte schon weitaus Schlimmeres erlebt. Das hier war nichts, verglichen mit der trockenen Hitze damals in Israel. Die war Wirklich übel gewesen: als würde man sein Gesicht jeden Morgen in eine Backröhre stecken.
»Hey, na du.« Jesus blickt auf. Vor ihm steht Becky, eine Videokassette in der Hand. Sie stupst damit gegen sein Knie. »Wollen wir mal reinschauen?«
Jesus stöhnt. »Ach Scheiße, müssen wir wirklich? Ich meine, jetzt?«
»Na komm schon, du musst doch ungefähr wissen, was dich erwartet.«
Seufzend legt er die Gitarre beiseite, ergreift Beckys ausgestreckte Hand und lässt sich von ihr aus dem Sitz ziehen. Sich an die Lehnen klammernd, torkeln sie, an dem schlafenden Morgan vorbei, den Gang entlang.
»Alles gut, Kris?«, ruft Jesus in Richtung Cockpit. Kris’ dicker Daumen erscheint vor ihnen, und hinter dem Vorhang ertönt ein enthusiastisches »Könnte nicht besser sein!«.
»Setz dich.« Becky schiebt JC in die Sitzreihe vor dem Fernseher und die Kassette in den Rekorder.
Becky war die Einzige von ihnen, die regelmäßig fernsah. Sie wusste alles über AMERICAN POP STAR, über die ersten beiden Staffeln, über die Stars, die diese hervorgebracht hatten, den Auswahlprozess und wie die Sendung ablief. Jesus erschien das alles ziemlich simpel: Man ging jede Woche da raus, spielte seinen Song, und wenn man genügend Menschen vor den Bildschirmen gefiel, dann durfte man eine weitere Woche in der Show bleiben. War es da wirklich nötig, sich diesen Scheiß vorher anzusehen?
»Och bitte, Becks. Muss das wirklich sein?«
Sie presst einen Finger auf seine Lippen und nimmt neben ihm Platz. Nach einigen Sekunden weißen Rauschens beginnt die Aufnahme mitten in einer Episode: Ein schwarzes Mädchen - und zwar ein ziemlich dickes schwarzes Mädchen - singt »Respect« von Aretha Franklin. Wenn man die Kleine so betrachtet - ihren massigen Körper, das volle, kugelrunde Mondgesicht, die Augen in Hingabe geschlossen —, könnte man vermuten, sie habe eine Wahnsinnsstimme. So denkt sich zumindest Jesus. Doch damit läge man völlig daneben. Sie schlachtet Aretha regelrecht ab: falsche Tonart, falscher Text. Es klingt, als würde sie einen Song singen, der ihr vor fünfzehn Jahren ein einziges Mal zufällig zu Ohren gekommen ist, weil ein Passant ihn auf der Straße gepfiffen hat. Als sie zum Refrain kommt, kreischt sie: »ARRR IIEH PIIEH TIIEH ESSS IIEH SSSSIIEH!«
»R-E-P-T-S-E-C?«, wiederholt Jesus fragend. »Was zur Hölle ist Reptsec?«
Jetzt schwenkt die Kamera auf eine Frau, die, wie Jesus annimmt, eines der Jurymitglieder ist. Sie ist ebenfalls schwarz, mittleren Alters und früher eindeutig mal sehr schön gewesen. Im hilflosen Bemühen, ein Kichern zu unterdrücken, stopft sie sich die Knöchel einer Faust in den Mund und blickt nervös von links nach rechts. »Das ist Darcy DeAngelo«, erklärt Becky. »Sie ist total nett.«
Als das Mädchen zur nächsten Strophe ansetzt, fährt die Kamera weiter nach rechts, zu einem Weißen, schon etwas älter, bärtig und korpulent. Er hält sich eine Hand vors Gesicht und verfolgt den Auftritt des Mädchens durch seine gespreizten Finger hindurch. »Das ist Herb Stutz«, fährt Becky fort. »Er ist eine ziemlich große Nummer als Rockmanager. Ab und an kann er ein bisschen gemein sein.«
»Alles klar«, Jesus nickt kurz. »Gemein. Ich verstehe.«
Es folgt ein Umschnitt auf das singende Mädchen, just in dem Moment, als sie den Song mit einem gebrüllten
»RESPECT!« abrupt beendet. Den Kopf in den Nacken geworfen, steht sie im silbernen und blauen Licht der Scheinwerfer und aalt sich im Applaus für ihren vermeintlichen Triumph, dabei ist der heftige Beifall eindeutig ironisch gemeint. Erneut ein Schnitt, wieder auf einen Juror, den einzigen, den man bisher noch nicht gesehen hat. Er ist jünger, vielleicht Ende dreißig, sonnengebräunt und gut aussehend. Sein weißes Hemd und sein zurückgegeltes dunkles Haar
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