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Gott Braucht Dich Nicht

Gott Braucht Dich Nicht

Titel: Gott Braucht Dich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Maria Magnis
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dass es hier warm wird?», fragte ich.
    «Das bringt nix.» Sie sah nach vorne durch die Windschutzscheibe. «Außerdem ist es Benzinverschwendung, und ich will gleich wieder hoch zu Papa.» Wir schwiegen. Meine Zigarette zischte leise.
    «Ich hab neulich mal zu Gott gesagt, dass er mir was sagen soll. Wegen Papa», unterbrach ich das Schweigen, «als ich Hausaufgaben machen sollte und so unruhig war.» Ich zog an meiner Kippe.
    «Und?», fragte Steffi etwas bemüht. Es ist unfair, jemandem etwas Besonderes zu erzählen, wenn er gerade genervt ist von einem. Aber es ist auch ungerecht, einem die Kippe zu verderben, die man rauchen will, wenn man kurz vorher drüber nachgedacht hat, dass es stimmen könnte, dass der eigene Vater wirklich im Sterben liegt.
    «Als ich Gott gebeten habe, mir was zu sagen, hatte ich das Gefühl, dass er das eh wollte.» Ich sah sie an. «Dass er schon drauf gewartet hatte oder so. Weißte?»
    «Ja, glaub schon», sagte sie und nahm den Schal vom Mund.
    «Dann lag da diese Bibel, die ich mir für den Reli-Unterricht kaufen musste. Unter meinen Büchern. BIBEL stand da fett drauf – wie so ‹HALLO, HIER›. Ich hab sie aufgeschlagen.»
    Sie drehte mir ihr Gesicht zu. «Und?»
    «Da stand – ich hab mir das angestrichen –, genau weiß ich es nicht mehr, aber das Erste, was ich gelesen habe, war: Wenn du willst, dass sich der Berg erhebt und ins Meer stürzt, dann wird er es tun, wenn du nur fest genug glaubst. Wenn du so darum bittest, als hättest du’s schon empfangen.»
    «Mh.» Sie lächelte beinah. Nur beinah, und auf ihrer Stirn war diese kleine, steile Falte aufgeworfen, die damals noch verschwand, wenn sie aufhörte, an den Tod zu denken. «Is’ ja krass.»
    Ich nickte, nahm den letzten Zug meiner Kippe und schnippte sie durchs Fenster auf den Parkplatz. Kurbelte das Fenster wieder hoch. «Ich glaub das», sagte ich leise.
    «Ich auch», und wir schauten uns an. «Lass uns mal beten, übermorgen, wenn ich ins Hüsle komme», sagte sie und suchte mit der linken Hand den Türgriff. Sie öffnete den Wagen und war mit einem Bein schon draußen.
    «Ich bin so froh, dass de da bist», sagte ich zu ihrem Rücken. Sie drehte sich um und umarmte mich.
    «Ich auch», nuschelte sie in meinen Schal, «und du stinkst nach Rauch.»

    Ab diesem Tag begann ich, mein ganzes Vertrauen Gott zu schenken und zu glauben, dass sich der Berg erheben und ins Meer stürzen würde, dass Papa gesund würde, weil ich betete, als hätte ich’s schon empfangen. Den letzten Zweifel verscheucht. Danke, dass du uns helfen willst. Danke, dass du Papa gesund machst. Ich sprach zu ihm, den ich am Meer ahnen durfte. Ich gab ihm den Glauben aus meiner frühesten Kindheit.
    Und ein halbes Jahr später habe ich das Stockwerk des Krankenhauses zusammengeschrien und kurz vorm Wahnsinn gedacht, ich müsse mir die Haut vom Gesicht reißen, als ich meinen Vater tot im Bett liegen sah.
    Danach bin ich verstummt.

    Totenstille die ganze Welt.
    Still und kalt. Wie wenn Schnee gefallen ist. Ohne Gott. Ohne mich. Und keine Regung mehr.

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    2. Teil
    Weiß wie Schnee
    1
    Wahnsinn ist, wenn man Türen eintreten muss, um ins Herz des Hauses zu gelangen, an den Kern, an das kleine, einzig harte, immerwährende Atom, an das man sich retten kann. Wenn sich Sekunden hinter einem als Loch auftun, worein der Boden stürzt und einem unter den Fersen schon wegbricht. Und man rennt schreiend durch das Haus und spannt die Muskeln an, um die Türen einzutreten – die hat aber jemand vorher schon sorgfältig ausgehängt. Und ins Nichts stößt man seinen Fuß. Ins Nichts, das einen schon an den Fersen und im Nacken kitzelt. Kein Widerstand, und man taumelt ins Weiß hinein.
    Das ist nicht der Tod. Das ist nicht das Ende. Das ist kein finales Zusammenbrechen. Die Menschen werden danach noch ihre Kaffeetasse halten können. Aber es lohnt sich dann nicht mehr. Der Raum der Sekunden ist lang und hohl und rund. Das ist nicht der Tod und das Ende. Das ist das, was passiert, wenn die Leute durchdrehen und rumschreien, weil sie ihre Liebsten tot sehen oder weil ihre Kinder tot auf der Straße liegen oder was weiß ich. Das ist nicht ihr Tod und ihr Ende. Sie haben dann oft noch Jahre vor sich. Sie hören dann die Uhr ticken und ein Auto vorbeifahren. Sie hören dann Lieder in den Supermärkten, die auch in der alten Welt gespielt wurden, und tappen verwundert hinter den Einkaufswagen her. Sie müssen dann immer noch

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