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Gott Braucht Dich Nicht

Gott Braucht Dich Nicht

Titel: Gott Braucht Dich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Maria Magnis
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Selbst das, was ihm widerstrebt – er könnte es zwingen.
    Dieser Gott – wirklicher und härter als Atomkerne, strenger und konsequenter befehlend als mutierte DNA, freier als unsere Gesetze – er hätte in seiner Güte den Krebs zwingen können, sich zurückzuziehen. Das hätte er gekonnt – der Gott –, das wusste ich.
    Es passte nicht zu Papas Tod.

2
    Mein Bruder blieb auf dem Internat. Meine Schwester fing an, in Hamburg zu studieren, und ich ging zurück zu meiner Mutter, in das Haus meiner Familie. Wir nahmen meine Großmutter bei uns auf. Sie war blind und steinalt. Weil sie sich nicht mehr alleine waschen und anziehen konnte, weil sie nicht mehr allein essen konnte, halfen Mama und ich ihr. Meine Mutter sagt, dass Omas Anwesenheit im Haus nach Papas Tod gut für sie war, weil sie so die Sinnlücke in ihrem Leben füllen konnte. Sie wurde gebraucht. Für mich war es auch gut. Nicht das Gefühl, gebraucht zu werden, sondern ein angemessenes Umfeld zu haben, in dem ich nicht mehr Teenager sein musste, in dem ich nicht mehr feiern und Party machen musste.
    Die innere Landschaft von einem Menschen leidet doch, wenn sie so sehr der äußeren widerspricht. Wenn man Liebeskummer hat, sitzt man nicht gern zwischen knutschenden Paaren. Wenn die Saiten in einem schweigen, dann ist es gut, wenn es um einen herum nicht so laut ist. Und deshalb war es eigentlich schön, dass ich am Bett meiner Großmutter sitzen konnte, schweigend, glotzend, ihren Atem bewachend. Die Stille im Haus entsprach mir lange.

3
    In der Nacht war ich wach geworden. Eine der vielen Nächte nach Papas Beerdigung. Ich hatte von ihm geträumt. Und jetzt war ich wach geworden, und in dieses schwere, vernebelnde Gefühl zwischen Wachsein und Noch-Schlafen, in dieses Hin- und Herkippen des Bewusstseins in Traumdunkelheit und echter Dunkelheit des Zimmers, drang auf einmal ein Geräusch ein. Ein Schaben. Das kam von der Wand gegenüber. «Davon wach geworden», dachte ich und richtete mich auf, hörte hin. Es verstummte sofort.
    Ich suchte mit der Hand nach dem Lichtschalter der Nachttischlampe, und während ich das Kabel abtastete, fing das Kratzen wieder an. Als ich innehielt, um zu lauschen, schwieg es wieder. Ich schaltete das Licht an und lehnte mich in die Kissen. Die Federn raschelten. Hinter der Wand verhielt es sich still.
    Ich hatte von Papa geträumt. Dass er vorne in seinem Auto am Lenkrad saß, die Arme hingen rechts und links an seinem Körper hinunter, er war tot. Ich saß in der Mitte auf der Rückbank, Steffi rechts, Johannes links von mir, meine Mutter vorne auf dem Beifahrersitz. Der Wagen lenkte sich selbst und fuhr über den Krankenhausparkplatz, der nun ein Park voller Grabsteine war. Wir hatten zu dem Zeitpunkt noch keinen Grabstein ausgesucht. Im Traum machten wir das. Ich sagte: «Ich find’s so schrecklich, dass wir das hier tun müssen. Dass wir es sogar in Stein meißeln müssen, dass er tot ist.» Wir waren alle still und traurig. Der Wagen bog um eine Kurve, wie auf Schienen gesteuert. Auf einmal zuckte die Leichenhand von Papa, die sonst reglos auf der Mittelkonsole des Wagens lag. Ich erschrak, beugte mich nach vorn und starrte die Hand an und dachte: «Bitte, bitte, bitte, sei lebendig, bitte, beweg dich noch mal.» In dem Moment drehte Papa sich um, er war immer noch Leichnam, und sagte, ohne zu sprechen: «Esther, ich bin euch immer nah. So nah» – er streckte seinen Zeigefinger aus und führte ihn so dicht an meinen Arm, dass er ihn fast berührte. Dazwischen hätte noch ein Feuerzeug gepasst. Ich sah auf seinen Finger und meinen Arm. «Aber näher kann und darf ich nicht.» Dann drehte er sich wieder um, blieb tot, und es wurde dunkel um mich – das war, als ich wach wurde, die Augen öffnete und in der Realität ankam, in meinem Bett im Zimmer, und es leise irgendwo kratzen hörte.
    Was soll man mit solchen Träumen? Ich mochte das nicht. Ich mochte nicht, dass es mich berührte. In jedem zweiten Trauerbuch steht etwas über solche Träume.
    Keine Laterne draußen. Stilles Haus. Stilles, großes Haus aus Steinen, und unten atmet meine Mutter im Ehebett. Im Zimmer daneben atmet Oma, die Augen geschlossen, und wir alle wissen nicht so recht, was wir hier machen. Aber das ist nachts egal, wenn man schläft. Da muss man nicht wissen, warum man da ist. Schlafen. Warten, dass die Zeit Wunden heilt. Ein- und ausatmen und damit die Seele spülen.
    Ich drehte mich wieder zur Seite, machte das Licht aus,

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