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Gott hat hohe Nebenkosten: Wer wirklich für die Kirchen zahlt

Gott hat hohe Nebenkosten: Wer wirklich für die Kirchen zahlt

Titel: Gott hat hohe Nebenkosten: Wer wirklich für die Kirchen zahlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Müller
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Problem, wenn die Kirche sich nicht an ihre eigenen strengen Regeln hält. Wenn sie eben Frau Knecht bei der Stellensuche in Bonn unterstützt oder, wie beim Chefarzt, die neue Partnerin erst duldet und ihm dann aber doch kündigt, wenn es ihr passt.« Genau in diesen Fällen bekämen die Arbeitnehmer, nach seinem Eindruck, immer häufiger recht. Die Arbeitsgerichte würden bei Kündigungsklagen seltener automatisch im Sinne des kirchlichen Arbeitgebers entscheiden und bei der Urteilsverkündung nicht nur auf das Grundgesetz und das Selbstbestimmungsrecht verweisen. »Jahrzehntelang haben die Gerichte die Einzelumstände dieser Entlassungen nicht genug berücksichtigt. Es gab keine Abwägung, sondern in der Regel nur den Verweis auf das Recht auf Selbstbestimmung. Das scheint sich ganz behutsam zu wandeln. Es ist eine gesellschaftspolitische Frage, wie viel Spielraum die Kirche hat.«
    Bestätigt wird Norbert H. Müllers These von Professor Georg Bier, der in Freiburg katholisches Kirchenrecht lehrt. »Die Interessenabwägung vor Gericht entscheidet immer öfter gegen die katholische Grundordnung oder die evangelische Loyalitätsrichtlinie«, sagt auch er. »Ich habe den Eindruck, dass die Gerichte anfangen, genauer hinzuschauen.« In der Vergangenheit habe es in Deutschland immer eine eher kirchenfreundliche Rechtsprechung gegeben, das ändere sich im Einzelfall nun deutlich. Dafür nennt Georg Bier denselben Grund wie der Anwalt aus Bochum. »Das größte Problem der Kirche ist die Inkonsequenz im Umgang mit ihrem eigenen Recht.« Die Anwendung kirchlichen Rechts sei schlicht nicht homogen und die Formulierungen in der christlichen Grundordnung, die Bestandteil des Arbeitsvertrages ist, seien teilweise vage. Außerdem sei die so weitgehende Auslegung des Selbstbestimmungsrechtes der Kirchen unter Juristen nicht unumstritten.
    Erstaunlich, hebt Professor Bier hervor, sei außerdem: »Die Rechte der Religionsgemeinschaften sind in Deutschland ausgeprägter als in anderen europäischen Staaten. Deshalb ist es nicht unwahrscheinlich, dass Reformanstöße von europäischer Seite ausgehen könnten.« Denn dort sähen Gerichte die Sondersituation in Deutschland und es kämen vereinzelt Hinweise auf Reformbedarf.
    Ein Beispiel veranschaulicht die Entwicklung. Ende 2010 fällte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg das sogenannte »Kirchenmusiker-Urteil«. Ein Kirchenmusiker hatte seine Arbeit in einer katholischen Kirchengemeinde verloren, weil er sich von seiner Frau getrennt hatte, zu seiner neuen Freundin gezogen war und mit ihr ein Kind bekommen hatte. Ehebruch und Bigamie, urteilte die Kirche und entließ ihn. Der Musiker klagte sich in Deutschland durch drei Instanzen. Doch in seinem Fall billigte das Bundesarbeitsgericht die Kündigung mit Verweis auf das kirchliche Arbeits- und Selbstbestimmungsrecht.
    Zwar akzeptierten die Richter in Straßburg grundsätzlich das deutsche Selbstbestimmungsrecht, aber sie brachten für diesen Einzelfall ein anderes Argument ins Spiel. Sie verwiesen darauf, dass ein Organist auf dem Arbeitsmarkt nur schwer vermittelbar sei und dass die Kirche ehebrüchigen Mitarbeitern somit nicht in jedem Fall kündigen dürfe.
    »Die Frage, ob ein Mitarbeiter, der von der Kirche entlassen wird, in der Region noch eine Arbeit findet, ist aus Kirchensicht völlig neu«, erklärt Professor Bier. Eine solche Abwägung gebe es im Normalfall nicht, wenn der Mitarbeiter so offensichtlich gegen die christlichen Moralvorstellungen verstoßen habe.
    Der Europäische Gerichtshof nimmt also über sein Urteil die Kirchen stärker in die Pflicht und bestimmt zugleich über die deutschen Gerichte. Denn er befindet, dass dem Organisten durch die Rechtsprechung der Bundesrepublik Schaden entstanden sei. Im Juni 2012 gab der Gerichtshof bekannt, dass der deutsche Staat dem Organisten deshalb vierzigtausend Euro Entschädigung zahlen muss. Der Staat zahlt, nicht die Kirche.
    »Auch das ist neu«, erläutert Professor Bier, »dass nun die Bundesregierung von einem europäischen Gericht zur Zahlung verpflichtet wird. Das könnte zu einer Korrektur, zumindest aber zu einem Überdenken der kirchenfreundlichen Rechtsprechung führen. Denn sie könnte für den Staat auf Dauer teuer werden.« Dies sei natürlich nur ein Teil des Problems. Kritisch sehe er vor allem Folgendes: »Wenn die Kirchen in einem Fall sehr streng mit Kündigung reagieren und in einem anderen Fall nicht, weil etwa ein Pfarrer

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