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Gott ist tot

Titel: Gott ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald F Currie
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schwiegen wir. Dann sagte Rick: »Wir wissen beide, dass ich verrückt bin, oder? Sind wir uns da einig?«
    Ich äugte zu der Pistole in seinem Hosenbund und sagte: »Ist das eine Fangfrage?«
    »Nein.«
    »Na gut. Dann ja. Nichts für ungut, du bist trotzdem mein Freund, und ich mag dich. Aber du bist so krank im Kopf, dass es nicht mehr feierlich ist, Mann.«
    Rick lächelte traurig. »Stimmt«, sagte er. »Aber was du nicht weißt: Ich war schon lange krank im Kopf, bevor dieser ganze Mist hier losging. Seit meinem ersten Semester, letzten Herbst, genauer gesagt. Da hab ich zum ersten Mal gewusst, dass ich jemanden umbringen will.«
    Ich sagte nichts.
    »Das kam so. Diese zwei Jungs bei mir an der Uni hatten gefragt, ob ich übers Wochenende mit ihnen zelten gehe. Ich hatte gerade mit organischer Chemie angefangen und hatte jede Menge zu lesen auf, und ich saß in meinem Zimmer und überlegte hin und her, ob ich mitkommen soll oder nicht. Ich hatte mir ein Heineken Dunkel aufgemacht. Ich sehe es alles noch ganz genau vor mir. Die Sonne schien durch die Ritzen in der Jalousie, und von den Jungs schräg über den Flur roch es nach Pot und nach Räucherstäbchen. Und ich sitze da und wäge dreihundert Seiten organische Chemie gegen diesen Campingausflug ab, und plötzlich, aus heiterem Himmel, denke ich, wie einfach es wäre, die beiden umzubringen, da oben in den Bergen, wo niemand es sieht. Ich starre auf die Leseliste, verstehst du, aber was ich vor mir sehe, das sind diese beiden Jungs, wie sie mit durchgeschnittener Kehle unter den Bäumen liegen. Ohne irgendeinen Grund. Ich mochte sie. Wir
hingen zusammen rum, gingen miteinander in den Kraftraum, soffen uns miteinander die Birne zu. Verstehst du?«
    Ich nickte.
    »Und ich kann dir sagen, pünktlich zu meinen Vorlesungen zu kommen und zu lernen und abends zu kellnern, damit ich mir meine Biere leisten kann, alles das schien von diesem Moment an völlig unwichtig. Dieser Mensch, das war nicht mehr ich, milde ausgedrückt. Eine schlagartige Verwandlung. Und es wurde noch schlimmer. Ich konnte ein Mädchen mit in mein Zimmer nehmen, und während ich ihr die Schultern streichelte und sie auf den Nacken küsste, stellte ich mir vor, wie ich sie erwürgte. Machst du dir irgendeine Vorstellung davon, wie beängstigend und - so albern das jetzt klingt - wie deprimierend so etwas ist, wenn du eigentlich nur ein ganz normaler Neunzehnjähriger sein willst? Wenn da ein quasi anonymes, aber doch sehr hübsches und nettes Mädchen ist, mit der du schlafen willst und ihren Geruch riechen und den Schweiß auf ihren Lippen schmecken, aber während du das alles tust, während du peinlich genau die Fassade aufrechterhältst, denkst du an nichts anderes als daran, sie zu töten?«
    Wieder nickte ich. Alles das, was er hier aufzählte, hatte ich auch getan - Mädchen nach einer Party mit zu mir genommen, mit ihnen geschlafen und mich in der Früh, wenn ich mit der Sonne auf meinem Gesicht aufwachte, glücklich und ausgepumpt gefühlt, gesättigt von Möglichkeiten. Es war etwas Wunderbares, und ich konnte mir bestens vorstellen, wie grauenvoll es sein musste, davon ausgeschlossen zu sein.
    »Und ich hab die Fassade aufrechterhalten«, sagte Rick, »ein ganzes Jahr durch - Uni, Job, Freunde, Mädchen -, und mich dabei elend und pervers gefühlt, ein Beinahe-Mörder, eine tickende Zeitbombe. Ich konnte machen, was ich wollte, es ließ
sich einfach nicht abschalten. Die ganze Zeit musste ich denken: Solange du dich nur normal benimmst und normal aussiehst, hast du freie Hand. Und ich dachte: Das Gesetz greift erst nach der Tat. Und als dann bekannt wurde, dass Gott tot ist, und überall die Hölle losbrach, war das eine richtiggehende Erlösung für mich. Weil ich mit diesem entsetzlichen Wissen geschlagen war. Ich verstand jetzt die Männer, die sich mit knatterndem Gewehr auf einen Glockenturm stellen oder in einen McDonald’s reinstürmen. Ich fühlte mich ihnen näher als den Leuten, die nach den Amokläufen herumstehen und weinen und warum, warum, warum fragen. Weil ich jetzt wusste, dass es kein Warum gibt. Es gibt den Impuls, und es gibt die Handlung. Aber darüber hinaus nichts.«
    Und in dem Moment, als er dieses Letzte sagte, spürte auch ich in mir eine Veränderung, so unvermittelt und unumkehrbar wie die, die Rick da beschrieb. Das Thema Leben war, im Sprachgebrauch meiner Generation, durch. Absolut, endgültig durch. Ich wollte nichts mehr zu tun haben mit diesem

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