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Gott ist tot

Titel: Gott ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald F Currie
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schleiften wir auf die Straße und ließen ihn dort liegen.
    Nach außen hin unterschieden sich die folgenden Wochen nicht groß von unserem Leben davor. Wir tranken zu viel,
ließen Musik laufen und spielten Videospiele, blieben die Nächte durch auf und verschliefen den Tag. Wesley und ich kaperten in dem verlassenen U-Haul-Fuhrpark einen Laster und brachten ein Wochenende damit herum, Haskell’s Liquor Store auszuräumen und die Bestände in Ricks Garage zu schaffen. Der Altweibersommer kam. Wir spielten draußen Hufeisenwerfen, fläzten in Liegestühlen und hielten den Alkoholpegel nach Möglichkeit hoch genug, um uns vormachen zu können, dass das hier verlängerte Sommerferien waren und nichts weiter.
    Aber die neue Wirklichkeit ließ sich nicht ausblenden. Trotz des hohen, wolkenlosen Himmels, den die Spätsommerhitze mit sich brachte, lagerte über allem ein grauer Dunst von den vielen Feuern, die ungehindert überall im Tal brannten, und überzog unsere Haut mit Ruß. Einer nach dem anderen gaben die Radio- und Fernsehsender den Geist auf. Unsere Vorräte an Essen und Alkohol schrumpften. Der Nachthimmel flackerte immer öfter stahlblau, von den vielen Transformatoren, die an Telegraphenmasten explodierten, und bald gab es in Ricks Haus keinen Strom mehr. Wir zündeten Kerzen an, lauschten den Grillen, die mit wildem Gezirpe die letzten Züge des Sommers auskosteten, und versanken über warmen Bieren in Schwermut.
    Am allermeisten Rick. Wir kannten ihn alle als fröhlichen Draufgänger (auf der Highschool war er immer unser Bierkäufer gewesen und der Einzige neben Cole, der je den Sprung von dem gefürchteten Zwanzig-Meter-Felsen im Wasserreservoir in Halowell gewagt hatte), aber seit dem Begräbnis seiner Eltern strich er nur noch durchs Haus, steif, langsam und stumm. Er trank, bis die Beine unter ihm wegklappten, und schlief, wo immer es ihn umhaute - neben der Badewanne, auf dem Betonboden in der Garage. Er entwickelte
einen Sauberkeitstick und schien gleichzeitig panische Angst davor zu haben, irgendetwas im Haus zu verrücken; eines Morgens beobachtete ich vom Flur aus, wie er mit dem Aftershave seines Vaters die Seifenreste am Badezimmerwaschbecken wegwischte und dann zehn Minuten damit beschäftigt war, die Flasche wieder richtig hinzustellen: sie einen Zentimeter nach links schob, dann wieder nach rechts, sie leicht drehte, einen Schritt zurücktrat, um den Stand der Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln zu überprüfen, ehe er die nächsten Korrekturen vornahm.
    Mehrere Tage vergingen, ohne dass er ein Wort mit einem von uns sprach. Leo, der seit unseren Kindertagen überzeugt war, dass am Unglück anderer immer er die Schuld trug, fragte mich, was er ihm getan hätte.
    »Es hat nichts mit dir zu tun, Leo«, sagte ich. »Rick ist einfach traurig. Alle sind traurig, weißt du?«
    Aber das war es nicht allein. Zusätzlich zu unserer Trauer fühlten wir uns zunehmend in einem immerwährenden Jetzt gefangen, in dem unsere Vergangenheit von uns wegrückte und eine sinnerfüllte Zukunft immer mehr zur logischen Unmöglichkeit wurde, einer Art Fegefeuer, in dem man bis ans Ende aller Tage mit denselben neun Kumpels Tetris spielte, sich sonnte und soff. Die Wände rückten immer näher, die Fertigravioli wurden immer älter, und bald war Rick nicht der Einzige, der als stumme Zombie-Version seiner selbst durch die Gegend schlich.
    Dann fiel der Strom aus.
    Ein paar Tage später wachten wir verkatert und durstig auf, nur um festzustellen, dass aus den Hähnen kein Wasser mehr kam. Das gab Rick den Rest. Er rief uns im Wohnzimmer zusammen, machte sich eine Halb-Liter-Dose Pabst auf, nahm einen langen Schluck und schaute in die Runde.

    »Ich habe einen Vorschlag zu machen«, sagte er.
    Wir hörten zu. Es klang gar nicht mal so verrückt, alles in allem betrachtet, und je mehr wir tranken, desto besser erschien es uns. Wir brüteten darüber, Stunde um Stunde, bis es draußen dunkel wurde. Keiner von uns befand es für nötig, die Sturmlampe anzuzünden, die auf dem Klavierhocker stand.
    »Wir machen es nur, wenn alle einverstanden sind«, sagte Rick. »Wir alle zusammen, wie immer.«
    Eine Zeitlang saßen wir danach einfach nur da, allein mit unseren Gedanken. Ich dachte an meine Mutter. Ich dachte an meinen großen Traum, Bauingenieur zu werden (kein Traum in dem Sinn, sondern ein Ziel, eines, mit dem es mir einigermaßen ernst gewesen war). Ich dachte an all die grauenerregenden Mad-Max-Szenarien, die uns

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