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Gott ist tot

Titel: Gott ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald F Currie
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einer Gruppe von Nuer-Flüchtlingen nach Kenia zu gelangen, und sich dabei in einem Nato-Draht-Zaun verfangen, der an ein Minenfeld angrenzte. Ein paar der anderen wollten ihn befreien, mussten aber fliehen, als Kampfflugzeuge der Regierung sie bombardierten. Sein Leichnam, von Dieben nackt ausgezogen und von der Äquatorsonne versengt, wurde nahe der Grenzstadt Kapoeta aufgefunden.
    Sein Tod, dieser eine kleine Tod unter Tausenden, wäre unbemerkt geblieben, hätten nicht ein paar Wildhunde, die von seinem Kadaver fraßen, plötzlich begonnen, einen Mischmasch aus Griechisch und Hebräisch zu sprechen und auf den Wassern des Weißen Nils zu wandeln, als wäre er aus Glas.
    Die Nachricht vom Tod Gottes, wie könnte es anders sein,
traf die Welt wie ein Keulenschlag. Eine Welle von Panik, gesellschaftlichem Aufruhr und allgemein schlechtem Benehmen schwappte über den Erdball. Das Kriegsrecht wurde ausgerufen, und in allen größeren amerikanischen Städten ging die Nationalgarde in Stellung. Die Selbstmordrate bei Nonnen und Geistlichen nahm epidemische Ausmaße an, ebenso wie die Gier nach Seelentröstern wie Kinderschokolade und Yes-Torties, die zu Ladenplünderungen im großen Stil führte. Die meisten, ich inbegriffen, glaubten das Ende nahe, und eine Zeitlang versteckten wir uns in unseren Häusern, schreckhaft und geduckt, jeden Moment darauf gefasst, mit einem Knall in Fetzen gerissen oder stillschweigend ausgelöscht zu werden.
    Und dann geschah etwas Seltsames: gar nichts. Mit der Zeit gestanden wir uns ein, dass die Sonne unverändert morgens auf- und abends unterging, dass die Gezeiten immer noch pünktlich wechselten und dass wir und alle, die wir kannten, (die meisten jedenfalls) nach wie vor quicklebendig waren. Fernsehkommentatoren und selbsternannte Experten sonderten Theorien in Hülle und Fülle ab, aber unterm Strich - und die Mehrzahl begriff das intuitiv - sah es einfach so aus: Gott hatte die Welt erschaffen und sie auf ihre Bahn gesetzt, und in dieser Bahn zuckelte sie weiter, auch wenn er nun nicht mehr da war und Ordnung hielt.
    Die Leute wagten sich aus ihren Schlupfwinkeln und kehrten zu ihrem Alltag zurück. Die Nationalgarde rüstete ab. Laura und ich stießen einen Seufzer der Erleichterung aus und gingen wieder ans Pläneschmieden: stellten Namenslisten zusammen, verglichen die Preise für Kinderzimmertapeten, kauften Mobiles und kleine Pullis. Eine Zeitlang war der einzig merkliche Unterschied zu früher die plötzliche Unstrukturiertheit der Sonntage.

    Dann begann sich das eigentliche Problem abzuzeichnen. Ich beobachtete es bei meinen Patienten: ein spirituelles Vakuum, entstanden durch das Ableben Gottes. Auf der ganzen Welt suchten die Menschen fieberhaft nach etwas, das für ihren frisch verwaisten Glauben herhalten konnte. Die Agnostiker taten sich mit den Atheisten zusammen und setzten auf die Naturwissenschaft, aber wie immer waren sie hoffnungslos in der Unterzahl. Viele Leute, darunter weite Teile der afrikanischen Bevölkerung, bauten Tempel zur Anbetung der Hunde, die vom Fleisch Gottes gekostet hatten, Kirchen, deren Liturgie ausschließlich aus Bellen und Jaulen bestand, das phonetisch in die Gesangbücher transkribiert war. Und in das Chaos, das hier bei uns schwelte, trat eine Art weltlicher Messias, ein Spross des sumpfigen Atchafalaya-Beckens in Louisiana, der nur ‚ Das Kind ’ hieß. Das Kind war genau, was der Name besagte - ein Junge von drei oder vielleicht vier Jahren, fröhlich und makellos, mit kakaobrauner Haut und einem so reichhaltigen Wortschatz, dass man meinen konnte, er hätte ein Wörterbuch verschluckt. Seine Botschaft, die er erst in Gemeinde- und Vortragssälen verkündete und dann, als seine Popularität wuchs, in Arenen und Sportstadien, war denkbar einfach: Gott hat uns verlassen. Der Weg zur Erlösung führt über das Kind.
    Womit selbstredend gemeint war: jedwedes Kind.
    Und Amerika, das ohnehin am Rande der Kindesanbetung schwankte, vernahm die Botschaft nur allzu willig. Schon bald griff ein Phänomen um sich, das in der Geschichte der Psychiatrie so noch nicht beobachtet worden war: Die Erwachsenen, gebeutelt von sozioökonomischen Nöten und überwölbt von einem atomaren Schutzschild, vor dem sie jetzt kein Gott mehr beschirmte, suchten Trost und Rat bei ihren Kindern.

    Als Psychiater registrierte ich Beispiele dieses absonderlichen Verhaltens lange, bevor es in die Schlagzeilen geriet. Ricky Mascis, ein arbeitsloser alleinerziehender

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