Gott ist tot
auch Jeff nicht, aber ich nehme trotzdem die Schutzplane vom Jaguar und untersuche ihn auf winzigste Spuren der Niedertracht. Als ich nichts finde, hebe ich einen neuen Reifen von dem Stapel an der Rückwand und rolle ihn hinaus zum Celica, wo ich ihn zu den anderen drei in den Kofferraum lege.
Dann gehe ich ins Haus, tippe den Code in die Tastatur der Alarmanlage, schließe die Tür dreimal ab und mache, dass ich in den Keller komme, bevor die Bewegungsmelder sich wieder einstellen.
Selia sitzt im Hobbyraum vor dem Fernseher, in dem irgendwelche Menschen gegen Geld Kuh-Augäpfel verspeisen. Es gibt fünf Personen in der Stadt, die keine wie auch immer geartete Beziehung zu Kindern haben. Zu meinem Glück ist Selia eine von ihnen.
»Hi«, sagt sie. »Was war heute kaputt?«
»Ein Reifen, aufgeschlitzt«, sage ich. »Fahrerfenster, eingeschlagen.«
»Autsch.«
»Jeff wird jeden Tag skrupelloser.«
»Der Mann hatte noch nie Skrupel«, sagt Selia. »Der weiß gar nicht, was Skrupel sind.«
»Was macht deine Mutter?«
»Alles wie gehabt. Als ich heute aus dem Bad kam, hat sie mich für einen Einbrecher gehalten. Und sie sagt nach wie vor Betty zu mir.«
»Irgendwelche Post?«, frage ich.
»Das Übliche. Werbung. Ein Dutzend Drohbriefe.«
Ich trete mir die Schuhe von den Füßen und kuschle mich neben sie auf die Couch. »Und du willst immer noch die Freundin des verhasstesten Mannes im ganzen Landkreis sein?«
»Ist nicht so tragisch, bis auf das Rumgeschleiche«, sagt sie. »Legen wir los, Cowboy. Ich muss zurück, bevor sie wieder auf die Idee kommt, sich Klowasser-Martinis zu mixen.«
Wir ziehen uns gegenseitig aus. Selia führt ihr Diaphragma ein und schiebt drei Schaumzäpfchen hinterher. Ich kontere mit zwei Kondomen übereinander. Wir dimmen das Licht. Schön ist das.
Hinterher küsst sie mir die Stirn, dann die Hand und fragt, ob sie mir noch was fürs Abendessen einkaufen soll. Wenn Selia nicht da ist, muss ich die sechzig Meilen bis zum Shop’n Save in Dover fahren, weil mir hier im County kein Laden etwas verkauft. Aber heute habe ich noch eine halbe Tüte Spanakopita und ein paar Kroketten im Gefrierfach. Ich komme schon klar.
»Dann wird es wohl Zeit für den Dienstbotenausgang«, sage ich, womit ich den unterirdischen Tunnel meine, der von meinem Keller zu einem Seitensträßchen zwei Häuserblocks weiter führt und hinter dem Malibu-Sonnenstudio herauskommt, wo Selia ihr Auto abstellt.
»Ich wünschte wirklich, du würdest den Job hinwerfen«, sagt sie. Sie zieht ihren Mantel an. »Dann könnten wir in sechs Monaten oder so, wenn die Leute dich nicht mehr gar so sehr hassen, vielleicht einfach Zeit zusammen verbringen wie andere Paare auch. Zu Primo’s essen gehen. Oder einen Film anschauen, ohne deshalb gleich bis New Hampshire fahren zu müssen.«
»Schätzchen, ich kann den Job nicht hinwerfen«, sage ich.
»Genauso wenig, wie du deine Mutter im Stich lassen kannst. Diese Menschen brauchen mich.«
»Sch… auf sie«, sagt sie. »Sie brauchen jemanden . Nicht dich im Speziellen. Du bist schließlich nicht der einzige Psychiater.«
Ich lache. »Aber so richtig Schlange stehen die Leute um den Job auch wieder nicht.«
»Gut, gut«, sagt sie und schnappt sich ihre Handtasche vom Couchtisch. Sie gibt mir ein flüchtiges Küsschen auf die Lippen. »Dann tschüs, mein kleiner Lieblingsmärtyrer.«
Ich sehe ihr nach, wie sie im Tunnel verschwindet, und denke: Das Gleiche könnte ich von dir sagen, mein Schatz. Dir hängt deine Mutter schließlich auch am Hals wie ein bleierner Rettungsring. Aber das wäre nicht ganz fair. Denn wie ich ihr schon mehrmals gepredigt habe: Das Erwachsensein ist nichts als ein einziger Kampf gegen den Drang, heulend und schreiend vor dem vielen Unangenehmen wegzulaufen, das einem das Leben auferlegt. Selia hat ihre Mutter. Ich habe diese Stadt und die Leute darin.
Aber um durchzuhalten, um das Unangenehme getreulich bewältigen zu können, braucht jeder ab und zu eine Belohnung. Ich bilde da keine Ausnahme. Also warte ich, bis ich mir sicher sein kann, dass Selia weg ist, und dann gehe ich an den Safe im Schlafzimmer und hole meine handverlesene (und vor allem hochverbotene) Sammlung von Kinderbekleidungskatalogen heraus. Achtundvierzig Stück sind es, von windigen Zeitungsbeilagen bis hin zu dem Prunkstück der Sammlung, den siebenhundert Hochglanzseiten des Best-DressedKids-Weihnachtsprospekts noch aus dem Jahr, bevor die Erwachsenenbevölkerung Kinder zu
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