Gott ist tot
Schöpfer.
F? Das scheint mir eine sehr taktlose Frage, ganz abgesehen davon, dass es nichts zur Sache tut.
F? Da magst du recht haben; die Gelegenheit ist einmalig. Ich kann verstehen, dass du neugierig bist, so morbide diese Neugier auch sein mag.
F? Dann sollst du deinen Willen eben haben. Es war zäh, bitter, flachsig, das ekelhafteste Fleisch, das ich jemals gegessen habe. Deshalb wollte ja auch keiner von uns mehr als einen Bissen davon.
F? Ja, ganz erstaunlich, wenn man darüber nachdenkt. Der Geschmack war alles andere als göttlich.
F? Nein, an die Verwandlung selbst habe ich keine Erinnerung. In meinem Gedächtnis klafft eine Lücke zwischen
meinen letzten Momenten als der Hund, der ich zeitlebens gewesen war - wild, fröhlich, von Trieben beherrscht -, und diesem neuen, gesteigerten Empfinden. Aber so viel kann ich sagen: Es kam nicht sofort. Als wir hinterher über den Hergang sprachen, berichteten die anderen, dass sie die Veränderung ganz genauso erlebt hatten. Noch mehrere Stunden, nachdem wir von unserem Schöpfer gegessen hatten, fraßen wir uns mit dem Rest des Rudels im Flüchtlingscamp satt. Irgendwann fanden wir uns dann wieder zusammen und verließen das Camp Richtung Westen, um uns einen guten Schlafplatz zu suchen. Das waren die letzten Augenblicke meines alten Lebens. Ich trat mir im hohen Gras ein Lager zurecht und fing an, mich zu putzen. Ich schleckte an meinen Pfoten herum, bis kein Klümpchen geronnenes Blut mehr zwischen den Zehen hing, und rieb mir dann mit den Ballen die Blutkrusten um die Schnauze weg. Von allen Seiten umgaben mich die Nachtgeräusche meiner Brüder, Schwestern, Vettern, Onkel, die sich träge auf dem Rücken wälzten, ächzend und knurrend in wohliger Erschöpfung nach einem langen Tag der Völlerei. Und bald schon hatte mich das gute, satte Gefühl in meinem Bauch, zusammen mit dem kühlen Nordwind, der sanft und stetig über mein Fell strich, in den Schlaf gewiegt.
Einen traumlosen Schlaf.
Als ich am nächsten Tag erwachte, gleißte die Sonne über einem Thron ferner Hügel. Augenblicklich war ich mir des Wandels bewusst, der sich in mir vollzogen hatte. Wo ich zuvor nur Trieb, Instinkt und Gewohnheit gekannt hatte, gingen mir nun plötzlich tausenderlei Gedanken durch den Kopf; wo für mich zuvor nichts existiert hatte als das, was ich mit meinen Sinnen erfassen konnte, da nahm ich nun die Erde in ihrer Ganzheit wahr, einschließlich der vielfältigen, komplexen
Weisen, auf die die Teile dieses Ganzen ineinandergreifen, entstehen und wieder vergehen. All dies wurde mir in einem einzigen Aufblitzen des Bewusstseins klar und begreiflich, und mit der gleichen Klarheit erkannte ich, dass meine Zeit als Mitglied des Rudels um war.
Die anderen vier waren zu dem gleichen Schluss gelangt. Unser Aufbruch war so natürlich und unabwendbar wie der Sonnenaufgang. Alle fünf standen wir auf und schickten uns zum Gehen an, aber langsam, gebremst durch das ungewohnte Gewicht der Trauer. Mein Bruder hörte uns und hob den Kopf. Er schüttelte sich schnell, um ganz wach zu werden, und trottete zu mir herüber, um auch mitzukommen; er dachte wohl, wir planten einen kleinen Beutezug, bevor es zu heiß wurde. Ich wollte ihm sagen, dass er uns nicht begleiten konnte, aber bereits da schien mir die alte Art der Verständigung nicht mehr gegeben. Ich legte die Ohren an, wo ich meine Schulter an seiner hätte reiben sollen; ich stellte den Schwanz auf, wo ich die Schnauze hätte senken müssen. Entmutigt zeigte ich ihm die Zähne, und mit hängendem Schwanz trat er den Rückzug an, in kleinen, zögernden Rückwärtsschritten, die Augen ergeben und niedergeschlagen.
Das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe, und von all den Kümmernissen, die mir seither widerfahren sind, gehört dieser Anblick zu den schmerzlichsten.
F? Nein. Ich habe auf meine Weise Kenntnis davon, dass er wohlauf ist - gesund und munter und seit kurzem Vater. Verluste gehören bei unsereinem zum Alltag, und er hatte mich fast im selben Moment vergessen, in dem ich außer Sicht war. Meine Trauer gilt mir selbst.
F? So gern ich es täte, ich kann nicht zu ihm gehen, aus demselben Grund, aus dem ich damals das Rudel verlassen musste - weil ich nicht mehr dazugehöre und auch nie mehr dazugehören werde. Ich erwarte von dir nicht, dass du das verstehst. Es übersteigt deine Kapazitäten.
F? Uns schwebte kein bestimmtes Ziel vor, als wir aufbrachen. Die Menschen, das
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