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Gott ist tot

Titel: Gott ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald F Currie
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Einziges eine alte Stachelechse, die keiner von uns so recht fressen mochte. Doch auch der Hunger konnte unseren Optimismus nicht dämpfen oder unser Tempo drosseln, und schon bald erhoben sich die schlanken Minarette Khartoums aus dem Wüstensand wie ein Wunder.

     
    F? Nein, ich glaube nicht an Wunder, nicht so zumindest, wie du es wohl meinst. Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen. Ich habe nie zum Glauben gefunden. Gerade noch war mir das Konzept Wunder vollkommen fremd gewesen, und im nächsten Moment wusste ich viel zu viel, um Wunder im Entferntesten für möglich zu halten. Ich verwende das Wort nur im übertragenen Sinn, um dir eine Ahnung davon zu geben, wie überwältigend das war, aus nichts als Wind und Sand plötzlich diese riesige Stadt Gestalt annehmen zu sehen.
     
    F? Tja, wie kann ich meine ersten Eindrücke von Khartoum beschreiben? Es versteht sich, dass keiner von uns je etwas Vergleichbares gesehen hatte. Der Lärm, das Gewirr. Diese Massen durcheinanderwimmelnder Menschen, die alle schrien und sich am Ärmel packten, von anderen Aufmerksamkeit heischten, aber selbst keine übrig hatten. Diese endlosen Kolonnen ramponierter, kugelvernarbter, sich noch in die winzigsten Lücken hineinschlängelnder Autos. Das Chaos der Basare, der Gestank nach verdorbenem Fisch und Apfeltabak, das blicklose Starren der Kriegsversehrten am Randstein. Wir irrten umher wie durch einen Sandsturm, von nieman-dem beachtet außer hier und da einem Soldaten oder Ladenbesitzer, der mit dem Fuß nach uns trat. Fast den ganzen Nachmittag drückten wir uns in den Straßen herum, bis wir uns, mehr oder weniger zufällig, vor der Universität wiederfanden.
     
    F? Wir warteten vor dem Vorlesungsgebäude, in dem wir Mubarak wussten. Nach einer Stunde kam er heraus, groß und bleich in seiner schlichten weißen Dischdascha, mit einem bestickten Fes auf dem Kopf. Ich ging auf ihn zu, und da ich nicht wusste, wie ich mich sonst einführen sollte, sagte ich einfach »Hallo«.

     
    F. Absurd, ich weiß, aber es schien nun einmal keine vernünftige Art zu geben, uns vorzustellen.
     
    F? Nun ja, wie du dir denken kannst, wunderte Mubarak sich. Erst bemerkte er mich gar nicht und sah sich suchend um, wer da gesprochen haben könnte. Der einzige andere Mensch auf dem Platz, ein Mann in einem hellroten Umhang, kehrte Mubarak den Rücken zu und war zudem klar außer Hörweite, denn er verschwand gerade um die Ecke der Landwirtschaftlichen Fakultät.
    »Hier unten«, sagte ich. »Zu Ihren Füßen.«
    Mubarak schaute an sich herab und schickte, als er mich sah, unwillkürlich einen gemurmelten Fluch zu einem Gott hinauf, an den er nicht mehr glaubte.
    »Professor Mubarak«, sagte ich, jetzt flankiert von den anderen, »wir sind zu Ihnen gekommen, um Sie um Hilfe zu bitten.«
    »Bin ich verrückt geworden?«
    »Nein«, sagte ich. »Das glaube ich nicht. Ich spreche, wenn man es so nennen will, und Sie hören mich. Das alles hier passiert wirklich.«
    Für ein paar Sekunden starrte Mubarak schweigend auf uns hinab. Zerstreut griff er sich an seinen Fes und schob ihn zurecht. »Was zum …?«, setzte er an und verstummte dann wieder, aber wir konnten spüren, wie seine Ungläubigkeit schon ein wenig nachzulassen begann, schon der intellektuellen Regheit Raum gab, dank derer er sieben Sprachen erlernt und sich einen Namen als einer der führenden Koranübersetzer gemacht hatte. Ich witterte meine Chance und packte sie beim Schopf, indem ich mich kurzerhand ins Erklären stürzte: die Dschandschawid, das Flüchtlingslager …
    Aber Mubarak fiel mir ins Wort. »Nicht hier«, sagte er,
immer noch mit allen Anzeichen der Perplexität. »Ob real oder nicht real, ich kann nicht in aller Öffentlichkeit mit irgendwelchen Hunden herumdiskutieren. Ich gehe jetzt heim. Folgt mir - aber mit Abstand.«
    Wir gehorchten. Mubarak verließ das Universitätsgelände in Richtung Osten, und wir folgten seiner Spur, beflügelt von der Gewissheit, jetzt und hier unseren Botschafter gefunden zu haben, den Mann, der uns in die Welt der Menschen einführen würde, uns helfen, unseren Platz zu finden. Vor lauter Aufregung bekamen wir nicht mit, wie Mubarak in einem Lädchen verschwand, um eine Schachtel Dunhills zu kaufen. Ohne es zu merken, überholten wir ihn und langten noch vor ihm bei ihm zu Hause an; wir warteten vor dem Tor auf ihn, als er ankam.
    »Woher wusstet ihr, wo ich wohne?«, fragte er.
    »Das werden wir alles erklären«, versprach ich ihm.

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