Gott ist tot
»Soweit wir es selber verstehen.«
F? Wir gingen hinein und erzählten ihm unsere Geschichte. Mubarak hörte zu und rauchte dabei Kette. Um seinen Schnauzbart spielte ein belustigtes kleines Lächeln, als hätte er sich damit abgefunden, dass alles unwirklich war, und wollte sich nun ein Vergnügen daraus machen, uns bis zum Ende anzuhören und seinen Wahnsinn in sämtlichen Facetten auszuloten. Selbst der Luft, die er atmete - geschwängert von Tabakqualm und den Gewürzen des Schawarma-Standes unter seinem Fenster -, mochte er nicht recht trauen.
»Jetzt grade könnte ich tausend von diesen Dingern rauchen, und es bliebe ohne Folgen«, sagte er und hielt eine frisch angezündete Zigarette in die Höhe. »Weil nichts von alledem wirklich passiert.«
»Herr Professor«, sagte ich, »wir können verstehen, dass
Sie das gern glauben möchten. Dass Sie es sich einreden müssen, weil Ihr Verstand nur zwei logische Erklärungen für das zulässt, was Sie hier erleben - entweder Sie träumen oder Sie sind wahnsinnig. Aber wir versichern Ihnen, es ist wirklich wahr.«
Mubarak ließ dies stumm auf sich einwirken, stand dann abrupt auf und stelzte hinaus, so dass wir allein in der Wohnung zurückblieben. Nach einigen Minuten kam er wieder, in der Hand ein durchweichtes Päckchen: Hühnerlebern, in Zeitungspapier eingeschlagen. Das listige Lächeln war von seinem Gesicht verschwunden.
»Ihr müsst ja halb verhungert sein«, sagte er und blickte liebevoll auf uns herab.
F? Drei Tage lang wurden wir mit roher Leber und Ziegenmilch gemästet und durften auf Webteppichen schlafen. Mubarak badete uns und bürstete uns, schaltete Deckenventilatoren an und zog Vorhänge vor, um die Nachmittagssonne auszusperren. In dem immergleichen Dämmerlicht seines Wohnzimmers dösten wir und waren dankbar dafür. Zum ersten Mal leckten wir einem Menschen voll Zuneigung die Hand.
Aber trotz dieses Komforts waren wir unruhig, und als wir fragten, wann er uns einem größeren Kreis zuführen würde, sagte er, bald, bald, aber erst müssten wir noch einmal ins Flüchtlingslager zurück. Aus praktischen Gründen dürfe nur ich mit ihm kommen, sagte er; die anderen müssten so lange in seiner Wohnung bleiben. Er ließ sich von der Universität beurlauben und plante in aller Eile eine Fahrt in den Süden. Und er kam mit Käfigen an, Zwingern aus rostfreiem Stahl mit Vorhängeschlössern auf der Außenseite, die, wie er sagte, unserem Schutz und unserer Bequemlichkeit dienten. Außerhalb
der Zwinger müssten wir angeleint sein, sagte er, auch das um unserer eigenen Sicherheit willen.
Mubarak kaufte einen Land Rover, belud ihn mit Benzinkanistern, Proviant, Wasser sowie mehreren Leichensäcken - Letztere aus den Beständen eines Bekannten von ihm, der mit illegalen Waffen handelte -, und wir machten uns auf den Weg. Er gab laut seiner Sorge Ausdruck, die Regenzeit könnte verfrüht einsetzen und die Straßen in unpassierbare Schlammrinnen verwandeln; und so fuhren wir in halsbrecherischem Tempo und erreichten das Lager in nur drei Tagen, unter Verschleiß beider Ersatzreifen. Kleine Grüppchen von Entwicklungshelfern waren zurückgekehrt und hatten damit begonnen, die verstümmelten, halbverwesten Leichen wegzuschaffen. Mubarak fluchte, als er sie sah.
»Die Überreste des Schöpfers haben sie noch nicht gefunden«, beruhigte ich ihn.
»Wo sind sie?«, sagte er. »Zeig es mir. Schnell.«
Wir holperten durch das Sammelsurium behelfsmäßiger Unterkünfte, die meisten von ihnen eingerissen oder zu Asche verbrannt, vorbei am Brunnen und weiter, aus dem Lager hinaus, wo wir den Leichnam des Schöpfers genau an der Stelle fanden, an der wir ihn vor drei Wochen zurückgelassen hatten.
»Da«, sagte ich.
Mubarak schaltete in den Leerlauf und zog die Handbremse an. »Er ist überhaupt nicht verwest«, sagte er, und es stimmte: Der Schöpfer war tot, o ja, und angefressen, aber während andere Kadaver so stark verfault waren, dass sie sich stellenweise in Brei verwandelt hatten, war sein Fleisch frisch und geschmeidig geblieben, als wäre er erst vor wenigen Stunden gestorben.
Ohne ein weiteres Wort sprang Mubarak aus dem Wagen
und ging daran, den Leichnam in einen der schwarzen Plastiksäcke zu stopfen. Er hatte es eilig, hielt nicht einmal dann inne, wenn ihn der Gestank, der nahezu sichtbar in der Luft hing, würgen ließ. Ein Entwicklungshelfer, der in etwa zwanzig Metern Entfernung in einem Leichenhaufen stand, rief in gedämpftem
Weitere Kostenlose Bücher