Gott ist tot
als vor den Soldaten. Deshalb reden sie. Sie sagen, Mubarak hätte etwas damit zu tun.«
»Ich kann dir alles erklären«, sagte ich. »Aber erst …«
»Ja, nein, natürlich!«, sagte sie und richtete sich eilig auf. »Ich suche nur rasch etwas, mit dem ich den Käfig aufbekomme.« Sie lief aus dem Zimmer und kehrte nach kurzer Zeit mit Hammer und Stemmeisen zurück. Sie schob das flache Ende des Eisens unter den Riegel, schwang den Hammer hoch über ihren Kopf und brach mit einem einzigen, kraftvollen Schlag das Schloss auf.
F? Lily war schlank, aber sehr stark, und sie trug meinen ausgezehrten Körper etliche Meilen durch die Straßen bis in das Slumviertel Mandela, wo sie zusammen mit ihrem Vater
einen Raum in einem langgestreckten Haus mit lauter einzelnen Zimmern bewohnte.
F? Wie Lily nahm sich auch ihr Vater liebevoll meiner an - holte mir Wasser aus dem nächstgelegenen Brunnen, zerstieß Taubenherzen zu einer Paste, die ich verdauen konnte. Aber anders als sie war er gebrechlich, mit mageren Runzelarmen und einer Schwäche für hausgemachten Dattellikör.
F? Als ich halbwegs zu Kräften gekommen war, bestätigte ich ihnen die Berichte, die sie gehört hatten: Der Schöpfer war tot, und erste Auswirkungen dieser Erkenntnis machten sich rund um den Erdball bemerkbar. Ich erzählte ihnen auch, dass ich nichtsahnend von unserem Schöpfer gegessen hatte und verwandelt worden war.
»Dann bist du Er«, sagte Lilys Vater.
»Was?«, sagte Lily. »Nein, Papa.«
»Liegt es nicht auf der Hand?«, sagte ihr Vater. »Er hat den Leib Gottes gegessen. Da sitzt er, ein Hund, der sprechen kann wie ein Mensch. Er berichtet uns Dinge von einer Welt, von der wir niemals gehört haben. Amerika! Was weiß hier schon jemand von Amerika, außer dem Namen? Aber er weiß Bescheid. Er weiß alles.«
»Ich bin nicht euer Gott«, sagte ich.
»Er ist nicht Gott, Papa«, wiederholte Lily.
»Was ich weiß, das weiß ich«, sagte ihr Vater und hob den Krug mit dem Dattellikör an den Mund.
F? Lily hütete mich ängstlich, selbst vor ihrem eigenen Vater. Die Stimmung im Slum wurde immer explosiver. Kaum ein Tag, an dem nicht jemand verschwand - von Soldaten geholt wurde und als Aufwiegler und Gotteslästerer im Gefängnis
von Omdurman landete. Armeelaster knirschten langsam durch die ungepflasterten Straßen und riefen die Einwohner per Megaphon dazu auf, sich an den verordneten Gottesdiensttagen in den Kirchen und Moscheen einzufinden. Lily sah darin eine bittere Ironie.
»Sie müssen verzweifelt sein«, sagte sie. »Erst haben sie unsere Kirchen plattgewalzt und auf dem Schutt Wohnblöcke gebaut. Und jetzt sollen wir pünktlich jeden Sonntag zum Gebet antreten.«
Eines Nachts stellte ich mich schlafend, während Lily und ihr Vater meinetwegen stritten.
»Er könnte den Menschen helfen«, sagte ihr Vater.
»Es ist zu gefährlich«, sagte Lily, »wenn die Regierung davon erfährt. Und sie würde davon erfahren.«
»Er könnte den Menschen Hoffnung machen. Meine Freunde - sie wollen hören, dass es mit der Welt bergauf geht.«
»Und wenn es nicht bergauf geht mit der Welt, Papa?«, fragte Lily bissig.
»Und auch andere Sachen«, wich er ihrer Frage aus. »Was aus ihren Familien geworden ist, beispielsweise. Jahre der Ungewissheit und des Leidens könnten ein Ende haben.«
»Aha«, sagte Lily, »jetzt nähern wir uns der Wahrheit. Wir reden gar nicht über deine Freunde, hab ich recht, Papa? Wir reden über dich. Darüber, was du wissen möchtest.«
»Ja! Natürlich! Und dich sollte es eigentlich auch interessieren, was aus deiner Mutter und deinen Schwestern geworden ist.«
»Ich weiß es doch schon, Papa. Sie sind tot.«
Ein paar stumme Sekunden vergingen, ehe er antwortete. »Du hältst dich für so klug«, sagte er, aber ganz leise nur, beinahe flüsternd.
F? Lily hatte recht; ihre Mutter und die beiden älteren Schwestern waren tot - erschlagen von dem Ziegenbauern, an den sie von den Dschandschawid verkauft worden waren, die sie fünfzehn Jahre zuvor entführt hatten. Aber als Lilys Vater zu mir kam, an einem Nachmittag, als Lily unterwegs war, um irgendwo Weizenmehl und Linsen einzutauschen, brachte ich es nicht übers Herz, ihm die Wahrheit zu sagen. Er war gut zu mir gewesen, und ich wollte ihm auch etwas Gutes tun.
F? Ich sagte, sie wären dem Bauern entkommen und lebten jetzt in Darfur, unweit von Nyala. Ich erzählte ihm, sie hofften nach all der Zeit immer noch, wieder mit ihm und
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