Gott oder Zufall?
Hypothesen, die auf unterschiedlichen Ebenen formuliert werden, manchmal widersprechen. Deswegen müssen allerdings solche auf unteren Ebenen andere auf übergeordneten – oder umgekehrt – nicht von vornherein diskreditieren. Warum gelten dann wissenschaftliche Deutungen als Widerspruch zu religiösen, die auf einer höheren Ebene angesiedelt sind? Ein Teil der Antwort liegt wohl im verwirrenden Wesen der
Reduktion.
Konkurrenz zwischen Theorien auf unterschiedlichen Ebenen:
Das Beispiel der Schizophrenie
Auch wenn verschiedene Beschreibungen auf unterschiedlichen Ebenen alle zutreffen und sich richtige Beschreibungen nicht widersprechen, geraten in realen Situationen, in denen ein unzulängliches Verständnis herrscht, Theorien auf unterschiedlichen Ebenen mitunter in Konflikt zueinander. Ein bekanntes Beispiel ist die Debatte um die Schizophrenie. Kennzeichnend für diese psychische Erkrankung sind geistiger Verfall, Wirklichkeitsverlust und Gefühlsarmut. Viele Schizophrene haben akustische Halluzinationen oder paranoide, bisweilen auch religiöse Wahnvorstellungen.
Phrenologen glaubten, dass die Kopfform das Verhalten, die Intelligenz und Ähnliches bestimme. © © Corbis/Tetra Images
Die Ursachen der Schizophrenie sollen auf vielen verschiedenen Ebenen angesiedelt sein. Die meiste Zeit in ihrer Geschichte (lange vor der Prägung des Begriffs 1911) wurden ihre typischen Symptome auf einen Dämon zurückgeführt, von dem der Kranke besessen sein sollte. Das Spektrum der Behandlungen reichte von schamanischen Ritualen bis zum Exorzismus. Im 19. Jahrhundert machten Psychiater Störungen im Gehirn oder psychische Faktoren als Ursachen aus. Im 20. Jahrhundert konkurrierten um die Ätiologie (Entstehung und Ursächlichkeit) der Schizophrenie drei verschiedene Anschauungen, die je auf einer anderen Ebene angesiedelt waren.
Konflikte in der Psyche
Im 20. Jahrhundert wurden die Psychoanalyse und andere psychotherapeutischen Ansätze im Kampf gegen die Schizophrenie zusehends beliebt. Diese beruhten vornehmlich auf der nie klar bewiesenen Überzeugung, wonach die Krankheit von un- bzw. unterbewussten Konflikten herrühre.
Interaktionen in der Familie
In den 1950er und 60er Jahren setzte sich mit dem Siegeszug der Familientherapie ein neuer Heilansatz durch. Deren Begründer sahen die Hauptursache der Schizophrenie in einer krank machenden Kommunikation unter Angehörigen. Der Patient galt als Opfer seiner familiären Beziehungen. Psychiater führten den Begriff der »schizogenen« Familie und sogar der »schizogenen« Mutter ein. Mütterschelte wurde zur Mode. Ein Artikel von 1965 führte frühere Berichte an, wonach Mütter von Schizophrenen »überängstlich, abweisend, restriktiv, Kühlschrankmütter« seien, »narzisstisch, unreif, Frauen passiver, unnahbarer Männer … negativistisch und feindselig, herrschsüchtig, nörgelnd … mit einer erdrückenden und besitzergreifenden Liebe …« Nach einer Hypothese dienten die Symptome der Erkrankung dazu, in der Familie ein homöostatisches Gleichgewicht aufrechtzuerhalten; sie seien also schizogenen Familieninteraktionen geschuldet. Die Theorie gewann in den 1960er Jahren eine beachtliche Anhängerschaft, fiel dann aber in Ungnade. Als einen Grund hatten neurobiologische Untersuchungen eine Störung bei der Entwicklung der Synapsen erbracht. Weiterhin zeigten Adoptionsstudien, dass genetische Faktoren bei der Krankheitsentstehung eine weitaus wichtigere Rolle spielten als Verhältnisse in der Familie. Und als dritter Grund erbrachte die Familientherapie bei der Behandlung nur dürftige Erfolge.
Neurologische Psychiatrie
Am Ende des 19. Jahrhunderts glaubten manche, dass die (damals Dementia praecox genannte) Schizophrenie mit einer Degeneration des Gehirns einhergehe. Auftrieb erhielt ihre Ansicht in den 1930er Jahren mit der Entdeckung, dass ein Koma, das durch Insulin ausgelöst wurde, therapeutisch gegen die Erkrankung wirkte. In den 1950er Jahren stellte sich heraus, dass Medikamente wie Reserpin und Chlorpromazin die Symptome der Erkrankung lindern konnten. Wie die Forschungen Arvid Carlssons – sie brachten ihm den Nobelpreis ein – zeigten, wirkten diese Medikamente so, dass sie die Signalübertragung durch Dopamin hemmten. Anomalien im Dopaminhaushalt können das Krankheitsbild allerdings nicht umfassend erklären. Andere Neurotransmitter spielen ebenfalls eine Rolle. Um die Ätiologie richtig zu
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