Gott oder Zufall?
Reduktionismus vorgeworfen. Ins andere Extrem begibt sich so mancher Gegner der Religion, indem er den Glauben anhand einer mechanistischen Wissenschaft wegzuerklären sucht. Um diesen Streitpunkten auf den Grund zu gehen, müssen wir zunächst das Konzept der
Ebenen des Diskurses
und den verwandten Begriff des
Reduktionismus
klären.
Ein einzelner Mensch oder eine Gruppe von Menschen kann auf verschiedenen Ebenen betrachtet werden. Vielfältige Beschreibungen auf unterschiedlichen Ebenen können gelten. © © Corbis
Ebenen des Diskurses
Wenn wir etwas Komplexes diskutieren, müssen wir uns entscheiden, auf welcher
Ebene
wir darüber reden wollen. Angenommen, wir sehen auf der Tafel die Mitteilung stehen: »Vorlesung fällt wegen Beulenpest aus«. Hier können wir zunächst die räumliche Verteilung der Kreidepartikel beschreiben. Nennen wir dies die Ebene A. Oder wir machen uns eine Liste mit allen vorkommenden Buchstaben (Ebene B). Wahrscheinlich sorgen wir uns jedoch eher um den Inhalt der Mitteilung (Ebene C). A ist die niederste und C die höchste dieser drei Ebenen. Als Kriterium für oben und unten gilt, dass man die niederere Ebene verändern kann, ohne die höhere zu beeinflussen, nicht aber umgekehrt. Einige veränderte Kreideteilchen ändern nicht unbedingt etwas an der Buchstabenfolge oder gar an der Bedeutung, während man die Bedeutung nicht verändern kann, ohne neue Buchstaben zu schreiben und die Kreidepartikel neu zu verteilen.
Eine Beschreibung kann gewiss für sich vollständig sein, ohne Beschreibungen auf anderen Ebenen auszuschließen. Solche unterschiedlichen Beschreibungen gelten als
komplementär
(siehe Kapitel
Das Wesen der Dinge/ Die Argumente der zwei Bereiche
). Zwei Beschreibungen auf derselben Ebene können komplementär sein, zum Beispiel zwei sprachliche Berichte oder bildhafte Darstellungen zu einem Gegenstand aus bestimmten Blickwinkeln. Wichtiger ist in dem Zusammenhang jedoch die Komplementarität zwischen
verschiedenen
Ebenen. In unserem Beispiel eines Tafeltextes war die Beschreibung auf der obersten Ebene offenkundig die wichtigste, was aber nicht immer der Fall ist. Um ihnen gerecht zu werden, müssen beispielsweise ein Auto oder ein Computer auf mehreren Ebenen erklärt werden. Und dies gilt auch für Menschen.
Über solche Beschreibungen lassen sich drei Aussagen treffen. Es gibt eine Hierarchie der Ebenen, auf der sich ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen betrachten lassen. Beschreibungen auf den einzelnen Ebenen sind, wie oben dargelegt, komplementär. Eine schließt die anderen nicht aus.
Als zweiter Punkt erschließt sich die Bedeutung von Dingen auf einer niederen Ebene anhand ihrer Beziehung zu höheren Ebenen. So erschließt sich die Bedeutung der Proteinmoleküle, aus denen sich ein Rezeptor für den Neurotransmitter (Acetylcholin) für Muskelzellen zusammensetzt, auf zellulärer Ebene in der Funktion des Rezeptors bei der Reizübertragung durch die Synapsen und – noch weiter oben – auf den Ebenen des sich zusammenziehenden Muskels und des sich verhaltenden Menschen. Die Bedeutung eines Menschen findet sich wiederum auf noch höheren Ebenen, zum Beispiel in seiner Beziehung innerhalb sozialer Gruppen. Darüber könnte man noch Gott und den ewigen Sinn verorten, den er uns und dem Universum gibt.
Mit Blick auf diese Ebene, so glaube ich, können wir alle unsere letzte Bedeutung finden. Ob dieser Glaube berechtigt ist, sprengt die Fragestellung dieses Textes, aber diese Ausführungen dürften immerhin deutlich gemacht haben, dass die Suche nach Deutungen anhand höherer Ebenen, die Phänomenen auf niederen Ebenen Sinn und Bedeutung geben, keine Spielerei versponnener Mystiker ist, sondern einen wesentlichen Teil des wissenschaftlichen Unternehmens darstellt.
Der dritte Punkt lautet: Während Beschreibungen auf allen Ebenen, ohne zu konkurrieren, zutreffen können, sind zwischen den Ebenen auch Berührungen möglich: Beschreibungen auf unteren Ebenen können das, was auf einer höheren Ebene möglich (oder wahrscheinlich) ist, einschränken und umgekehrt. Theorien, die auf verschiedenen Ebenen angesiedelt sind, können so in Konflikt zueinander geraten. In der Wissenschaft (auch in der medizinischen) drehen sich bedeutende Debatten häufig um Widersprüche zwischen Theorien, die auf unterschiedlichen Ebenen funktionieren.
Zusammenfassung: Wenn die Verhältnisse in praktischen Situationen nicht gesichert sind, können sich
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