Gott oder Zufall?
verstehen, muss geklärt werden, was die Störungen bei den Neurotransmittern verursacht. Deutliche Hinweise sprechen für eine Veranlagung für Schizophrenie aufgrund von genetischen Faktoren ebenso wie durch »Stress« vor, während und nach der Geburt; dazu gehören eine Vireninfektion der werdenden Mutter, Komplikationen bei der Entbindung, wie etwa Sauerstoffmangel, oder ein Hirntrauma. Beteiligt sind möglicherweise in allen Fällen freie Radikale, hochreaktive Atome oder Moleküle, die das Gehirn schädigen können. Derzeit herrscht der neurologische Erklärungsansatz vor.
Wie bringt man nun die verschiedenen Ansätze zusammen? Um die Schizophrenie umfassend zu verstehen, muss man wohl neurologische, psychologische, soziale und geistige Faktoren berücksichtigen. Eine erfolgreiche neurologische Erklärung widerspricht an sich noch nicht den Erklärungen, die parallel auf höherer Ebene formuliert werden, setzt ihnen aber Grenzen. Dass schizophrene Erwachsene anscheinend eine Gehirndegeneration erleiden, schien gegen eine Krankheit als Anpassungsreaktion auf familiäre Verhältnisse zu sprechen. Aufreibende Konflikte in der Familie könnten so eine Degeneration auslösen, auch wenn es indirekte Hinweise darauf gibt, dass Hirnveränderungen bei Schizophrenen schon in der Kleinkindzeit – also in einem sehr frühen Stadium – angelegt waren. Dieses vereinfachte Beispiel illustriert, wie Theorien, die auf unterschiedlichen Ebenen formuliert werden, in Konflikt zueinander geraten können, wenn sie sich auf dieselbe Ebene auswirken.
Reduktion
Oberflächlich betrachtet, bedeutet »Reduktion« (in Wissenschaft und Philosophie) schlicht eine analytische Zerlegung einer komplexen Einheit in ihre Bestandteile, oder, eher funktional betrachtet, das Verständnis, wie die unterschiedlichen Bestandteile der Einheit zusammenwirken. Eine eingehendere Betrachtung fördert hier aber Schwierigkeiten zutage. Ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile? Es kommt darauf an, was »mehr als« bedeutet. Lassen sich die Funktionen meines Gehirns auf die der beteiligten Nervenzellen reduzieren? Die Antwort hängt wiederum vom genauen Sinn des Begriffs »reduzieren« ab.
Die meisten Wissenschaftsphilosophen stimmen darin überein, dass wir zwischen verschiedenen Arten der Reduktion unterscheiden müssen. So unterschied Karl Popper zwischen »Reduktion als Methode«, die für alle Wissenschaftler begrüßenswert sei, und dem »philosophischen Reduktionismus«, für den es keine guten Argumente gebe. Vom Reduktionismus wurden mehrere Typen ausgemacht, von denen es, einfach dargelegt, drei wichtige gibt:
Die
ontologische Reduktion
ist im Wesentlichen eine Frage, ob Leben und Bewusstsein rein in Begriffen chemisch-physikalischer Abläufe verstanden werden können oder ob wir ein immaterielles Prinzip wie die »Seele« oder den Elan vital (Lebenskraft) brauchen, das mit diesen Abläufen zusammenwirkt. Bei einer ontologischen Reduktion würde man so ein Prinzip zurückweisen.
Die
Reduktion durch Festsetzen einer niedereren Ebene
oder der methodologische Reduktionismus betrifft die Ebene, die wir für eine anstehende Untersuchung oder Diskussion wählen. Dazu ein Beispiel:
Ich saß einmal im Auswahlgremium zur Vergabe eines Promotionsstipendiums an der Oxford University. Der ausgewählte Student, ein Biochemiker, verkündete: »Am Ende läuft alles auf Biochemie hinaus.« – »Zum Beispiel auf die Biochemie des Vogelgesangs?«, fragte ein Mitglied des Gremiums, das auf diesem Gebiet spezialisiert war. »Ja«, lautete die zuversichtliche Antwort. Alle Mitglieder waren sich einig, dass die Antwort an der Frage vorbeiging. Auch wenn wenige abstreiten würden, dass der Vogelgesang von Nervenfunktionen gesteuert wird, die auf biochemischen Abläufen beruhen – dazu müssten sie ein geheimnisvolles immaterielles Prinzip anführen –, stellen sich auch andere Fragen: die nach der Bedeutung des Gesangs für Vögel, nach dem zeitlichen Muster der Aktionspotenziale in den beteiligten Nerven usw. Diese Fragen sind keine überflüssigen Nebensächlichkeiten oder oberflächlichen Vorbetrachtungen, die zur grundlegenden Biochemie führen. Die meisten Wissenschaftler sind sich darüber einig, dass sie ebenfalls wesentlich sind. Es müssen viele Fragen auf unterschiedlichen Ebenen gestellt werden. Eine sehr interessante Herausforderung besteht darin, die unterschiedlichen Antworten zu einem zusammenhängenden vielschichtigen Bild
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