Gott oder Zufall?
zusammenzufügen. Über die Notwendigkeit, eine bestimmte Ebene unten oder in der Mitte – z.B. die nach den am Vogelgesang beteiligten Ionenkanälen – mit zu betrachten, kann man streiten. Aber die Ebene, die mit dem Konzept des Vogelgesangs zu tun hat, ist eindeutig unverzichtbar.
Verhalten – so der Vogelgesang – lässt sich nicht auf biochemische Abläufe reduzieren, auch wenn es weitgehend ererbt ist. © © Alamy/David Chapman
Im Großen: Überrest einer Sternenexplosion im Sternbild Stier © © Corbis/ NASA / JPL –Caltech
Die
epistemologische Reduktion
hat mit der Vorhersageleistung zu tun. Sie betrifft die Frage, ob die Theorien und Gesetze, die auf einem wissenschaftlichen Fachgebiet formuliert wurden, wirklich Sonderfälle von denen auf einem anderen Gebiet formulierten sind. Falls ja, soll eine Reduktion des ersten auf das zweite Gebiet vorliegen. Dann wird dieses erste für Vorhersagen im Grunde nicht mehr gebraucht, weil die Gesetze und Theorien auf dem zuletzt genannten ausreichen. So sagt beispielsweise die kinetische Gastheorie das allgemeine Gesetz für ideale Gase vorher und erklärt es. Das heißt nicht, dass das erste Gebiet nutzlos wird, weil die Reduktion niemals ganz vollständig ist. Stets bleibt ein »Residuum« übrig. Auch wenn seine Gesetze und Theorien für Vorhersagen dann überflüssig sind, werden seine Konzepte und Daten weiterhin benötigt. Und in der Praxis ist es gewöhnlich deutlich bequemer, Vorhersagen anhand der weniger allgemeinen, auf einer höheren Ebene angesiedelten Theorie zu treffen. Vor diesem Hintergrund besteht freilich kein Zweifel daran, dass viele sehr bedeutende wissenschaftliche Errungenschaften mit einer epistemologischen Reduktion einhergingen. In den letzten ungefähr hundert Jahren wurden verschiedene Zweige der Physik per Reduktion zu wenigen Theorien zusammengeführt, die sehr allgemein und aussagekräftig sind, so zur Quantenphysik oder zur Relativitätstheorie. Und so reduzierte auch die Entdeckung, dass die Bindungseigenschaften eines Atoms mit der Anzahl seiner äußeren Elektronen zu erklären sind, einen Großteil der Chemie auf die Physik.
Verwirrende Reduktion und »Nichtsalserei«
Wenn man zwischen einer ontologischen und einer methodologischen Reduktion nicht unterscheidet, führt dies mitunter zum »Trugschluss der Nichtsalserei«, wie Donald MacKay ihn nannte. Zur Illustration ein schlagendes Beispiel: Sie haben soeben das Gemälde einer schönen Frau aufgehängt und bestaunen es, als Ihr Bruder, ein verrückter Wissenschaftler, in den Raum tritt. »Was ist denn das«, fragt er leicht gereizt. »Eine Frau«, antworten Sie. »Falsch!«, tönt er. »Das sind bloß Moleküle,
nichts als
Moleküle. Wenn es ums Wesentliche geht, stößt man auf nichts anderes. Wenn man die Moleküle entfernt, bleibt nichts übrig.« Natürlich verneint er hier, was nie behauptet wurde. Er besteht auf einer ontologischen Reduktion, darauf, dass sich hinter den Farbmolekülen kein geheimnisvolles immaterielles Prinzip verbirgt. Natürlich nicht! Aber in seinem konfusen Denken verfällt er der Idee, dass eine niederere Ebene festgesetzt werden müsse, als sei bewiesen, dass die molekulare Ebene die einzig relevante sei, wenn man über das Bild spricht.
Auch wenn bei einem Gemälde kein vernünftiger Mensch so einen Fehler begehen würde, treten ähnliche Missverständnisse auf, wenn über das Gehirn geredet wird. »Das sind nur Atome und Moleküle«, sagen manche zuweilen. Wenn sie damit meinen, dass auf Nervenzellen keine geheimnisvolle, immaterielle Kraft einwirkt, haben sie wohl recht. Aber es besteht die Gefahr, dass sie ihre plausible ontologische Reduktion mit einer verwechseln, bei der eine niederere Ebene festgesetzt wird. Dies führt dann zur irrigen Vorstellung, wonach molekulare Erklärungen des Gehirns irgendwo grundlegender oder wahrer seien als physiologische oder psychologische, die auf einer höheren Ebene angesiedelt sind.
Im Kleinen: eine HeLa-Zelle bei der Teilung © © Corbis/Dr. Richard Kessel & Dr. Gene
Eine Verwechslung zwischen dem dritten Typ der Reduktion mit den beiden anderen kann ebenfalls zu falschen Schlüssen führen. Angenommen, es stellte sich heraus, dass die Entwicklung bestimmter Hirnregionen ganz von Genen kontrolliert würde. Damit wäre sie auch vorhersagbar, wenn die Informationen im Genom vollständig bekannt wären. Obwohl Letzteres wahrscheinlich bald eintreten
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