Gott oder Zufall?
ließ.
Das Schöpfungs-Museum in Petersburg, Kentucky © © Alamy/Jim West
Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts war der organisierte Kreationismus weitgehend auf die Vereinigten Staaten beschränkt gewesen, wo zu Beginn des neuen Millenniums annähernd zwei Drittel der Bevölkerung behaupteten, nicht die Evolution, sondern die Schöpfung zu favorisieren. Es weitet sich jedoch zunehmend zu einem tatsächlich weltweiten Phänomen aus, das nicht nur unter konservativen Protestanten verbreitet ist, sondern auch unter vielen Katholiken, Orthodoxen, Muslimen und orthodoxen Juden. Kontinentaleuropa, die vermutlich säkularste Region auf Erden, hat sich zunächst als resistent gegenüber dem Kreationismus nach amerikanischer Art erwiesen. Doch die Lage verändert sich schnell. Beim Untergang der Sowjetunion 1991 erlebte die evangelikale Christenheit einen raschen Aufschwung, und mit ihr der Kreationismus, teils deshalb, weil der Darwinismus so sehr mit der nunmehr diskreditierten marxistischen Philosophie verknüpft gewesen war, welche die sowjetische Vorherrschaft gefestigt hatte. Andere ehemalige Länder des Sowjetblocks – Polen, Ungarn, Rumänien und Serbien – wurden ebenfalls Zeugen, wie sich der Kreationismus verbreitete. Sporadische antievolutionistische Ausbrüche fanden aber auch in Westeuropa statt. Eine Abstimmung im Jahre 2002 zu den Einstellungen von Europäern in Bezug auf Schöpfung und Evolution fand heraus, dass 40 Prozent der Befragten eine naturalistische Evolution bevorzugten, 21 Prozent die theistische Evolution unterstützten, 20 Prozent (wobei die Schweizer hier führend waren) glaubten, dass »Gott alle Organismen zeitgleich innerhalb der letzten 10000 Jahre erschaffen hat« und 19 Prozent unentschieden blieben. Sieben Jahre später ergaben die ersten deutlichen Umfrageergebnisse in Großbritannien, dass zehn Prozent der Bevölkerung sich selbst als Kreationisten bezeichneten und 14 Prozent an das Intelligent Design glaubten. Anders ausgedrückt: 2009, 150 Jahre nach der Veröffentlichung der
Entstehung der Arten,
meldete die Hälfte der Bevölkerung in Darwins Geburtsland Zweifel an seiner Theorie an oder glaubte überhaupt nicht daran.
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Menschheit und Menschsein
Die Bibel wie auch die Naturwissenschaften sagen viel darüber aus, was Menschsein heißt, allerdings mit deutlichen Unterschieden. Daraus ergeben sich für den Christen zahlreiche Fragen: Wie ähnlich sind wir anderen Kreaturen? Wie kamen wir ins Leben? Sind wir biologische Maschinen? Wenn ja, wieso können wir dann bewusst denken? Zum Verständnis des Menschseins tragen viele Wissenschaften bei, die den Glauben am stärksten dort in Frage stellen, wo es um unsere Ursprünge oder unsere psychische und geistige Identität geht. Gemeint ist unsere Identität als Menschen so, wie sie die Neurowissenschaft, die Psychologie, die Paläontologie und die Genetik bestimmen. An der Schnittstelle zwischen diesen Disziplinen und dem christlichen Glauben liegen fünf wichtige Problembereiche:
Nur Moleküle und Zellen?
Ein komplexes System lässt sich fast nie als einfache Extrapolation aus den Eigenschaften seiner Grundbestandteile verstehen. Man nehme beispielsweise Gas in einer Flasche. Die thermodynamischen Effekte – Temperatur, Druck, Dichte und die Beziehung zwischen diesen Faktoren – lassen sich nicht mit zahlreichen Gleichungen formulieren, die jeweils ein einzelnes beteiligtes Teilchen beschreiben. Beschrieben werden sie vielmehr auf einer eigenständigen Ebene, auf der einer gewaltigen Ansammlung von Teilchen … Will man ein so komplexes Gebilde wie das Nervensystem, eine Flasche mit Gas … oder gar ein großes Computerprogramm umfassend verstehen, muss man bereit sein, sich mit verschiedenen Arten der Erklärung auf unterschiedlichen Ebenen zu befassen, die, zumindest im Prinzip, zu einem zusammenhängenden Ganzen verknüpft sind …
David Marr, Vision (1982)
Dass die Naturwissenschaft zuweilen als Bedrohung für den Glauben und unser humanistisches Selbstbild gesehen wurde, hat vor allem einen Grund: Versuche, ein Ganzes aus seinen Teilen heraus zu erklären, galten als Degradierung, ja als Entwertung unserer selbst. Aus so einer Sicht wäre meine Tochter nur eine Ansammlung von Zellen, und die Liebe zu Gott oder zu Freunden reduzierte sich auf unpersönliche Aktivitäten von Nervenzellen in bestimmten Hirnregionen. Wegen solcher Missverständnisse wird der Wissenschaft von Gegnern
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