Gott oder Zufall?
Neurobiologen glauben, es müsse angesichts der Schwierigkeiten bei der künstlichen Intelligenz keine losgelöste Seele angenommen werden, die auf das Gehirn einwirke, auch wenn sie eine solche nicht ausschließen. Manche Unsicherheit rührt daher, dass ein Dualist zu Recht argumentieren könnte, es liegen keinerlei Beweise dafür vor, dass sämtliche Abläufe im Gehirn vollständig von chemischen und physikalischen Gesetzen bestimmt werden. Hirnprozesse, die für unser Menschsein zentral sind, wie etwa geistige Kreativität oder ethische Entscheidungen, könnten einen unabhängigen Mitspieler erfordern. Wenn beim Lösen eines Problems oder bei ethischen Entscheidungen eine bestimmte Hirnregion aktiviert werde, könnte daran eine unabhängige Seele
mitwirken.
Obwohl dafür keinerlei Belege vorliegen, wurde diese Position vom verstorbenen John Eccles vertreten, der für seine umfangreichen und grundlegenden Beiträge zur Neurowissenschaft 1963 den Nobelpreis erhalten hatte. Eccles verfocht den Dualismus in einer langen fruchtbaren Laufbahn. Seine Anschauungen werden unter der Überschrift »Determinismus und Freiheit« erörtert.
Nahtoderfahrung
Von Nahtoderfahrungen ( NTE ) wird bemerkenswert oft berichtet, und zwar gewöhnlich (aber nicht immer) von Menschen, die eine schwere zerebrale Ischämie , eine Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff, erlitten und in vielen Fällen als tot galten. NTE können durch Stress oder emotionale Krisen ausgelöst werden. Seltener treten sie spontan auf. Auch wenn sie je nach Kultur variieren, sind viele Merkmale konstant: Die Betroffenen berichten, sie hätten den eigenen Körper verlassen und auf ihn herabgeblickt. Sie seien durch einen dunklen Raum (oft einen Tunnel) geeilt, hätten ihr Leben an sich vorüberziehen sehen, seien in ein Licht eingetreten und verstorbenen Angehörigen oder Freunden begegnet. Obwohl zu dem Phänomen eine beachtliche Literatur vorliegt, ist es in der Neurobiologie nur begrenzt belegt.
NTE wurden lange von interaktiven Dualisten als Beweis für eine nichtphysikalische Seele angeführt. Die Überlieferung reicht hier bis zu Platon zurück. Am Ende in Platons
Der Staat
berichtet Sokrates von dem griechischen Soldaten
Er,
der in der Schlacht umgekommen sein soll. Als zehn Tage später die Leichen zur Bestattung eingesammelt wurden, zeigte sein immer noch lebloser Körper keine Spur von Verwesung. Bevor ihn seine Mitkämpfer beisetzen konnten, kehrte er ins Leben zurück und berichtete, dass er ins Jenseits eingetreten sei. Als seine Seele den Körper verlassen habe, sei er mit anderen zu einem herrlichen Ort gereist, an dem er vieles gesehen habe: Richter hätten über das Schicksal von Gerechten und Ungerechten befunden. Diese hätten ihm gesagt, er solle beobachten und erfahren, ins irdische Leben zurückkehren und von den Erlebnissen berichten. Ers Nahtoderfahrung trug wohl zum weitverbreiteten Glauben an eine körperlose Seele bei.
Aspekte von NTE lassen sich auch durch Reizungen des Gehirns hervorrufen. Als sein Schläfenlappen elektrisch stimuliert wurde, rief beispielsweise ein Patient von Wilder Penfield aus: »O Gott, ich verlasse meinen Körper.« Ein neuerer Fall wurde detailliert beschrieben. Als ihr rechter Gyrus angularis (nahe der Grenze zwischen dem Scheitel- und dem Schläfenlappen) leicht gereizt wurde, hatte eine Patientin das Gefühl, in die Tiefe zu stürzen. Bei einer stärkeren Reizung meinte sie, den eigenen Körper zu verlassen. »Ich sehe mich von oben im Bett liegen«, sagte sie, »aber nur meine Beine und den unteren Rumpf.« Tatsächlich ruhte sie mit einem um 45° angewinkelten Oberkörper im Bett. Obwohl sich in ihrer getäuschten Wahrnehmung der Blickwinkel verschoben hatte, entsprach die Beschreibung ihrer tatsächlichen Position. Weitere Reizungen führten zu der Illusion, dass sie leicht würde und dicht unter der Decke schwebe. Als die Patientin angewiesen wurde, auf ihre Beine zu blicken, lösten Reizungen am selben Ort den Eindruck aus, dass diese kürzer geworden seien und sich auf ihr Gesicht zu bewegten. Von dem stimulierten Hirnareal ist bekannt, dass es am Bewusstsein für die Körperhaltung beteiligt ist. Die Autoren des Berichts deuteten die Empfindungen der Patientin als Ergebnis einer verzerrten Wahrnehmung.
Das Gefühl, den eigenen Körper zu verlassen, ist nur einer von vielen Aspekten der NTE . Mit der Reizung einer einzelnen Hirnregion lassen sich keine vollständigen NTE hervorrufen. Dagegen
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