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Gott oder Zufall?

Gott oder Zufall?

Titel: Gott oder Zufall? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. J. Berry
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Aquins auf. Das Naturrecht entspringt seiner Ansicht nach der Weisheit Gottes, der die Ordnung der Schöpfung regiere. Die Menschen benötigten dieses Recht, um ihr Denken nach der göttlichen Weisheit auszurichten. Naturrechtliche Überlegungen, die sich von Thomas herleiten, finden sich heute zum Beispiel in dem von der katholischen Kirche ausgesprochenen Verbot der Verhütung wieder.
     
    Thomas von Aquin (1225–1274), ein Verfechter des Naturrechts  ©  © Art Archive/​ www.picture-desk.com /​picture-desk
     
    Zweitens gibt es
deontologische
(aus dem Griechischen
deon
für »Pflicht«) Systeme. Sie beruhen auf Regeln und Pflichten, die in Schwarz-Weiß-Manier klar festgelegt sind. Eine Regel zu befolgen ist moralisch richtig, während Verstöße moralisch verkehrt sind. Eine deontologische Ethik wird mitunter als kantische Ethik bezeichnet – nach Immanuel Kants Formulierung des kategorischen Imperativs: »Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person als auch in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals nur als Mittel brauchst.« Oder, modern ausgedrückt: Menschen dürfen nie nur als Werkzeug benutzt werden, um eigene Wünsche oder Begierden zu befriedigen. Die Zehn Gebote mit ihren klaren Regeln können als Beispiel einer Deontologie gelten. In neuerer Zeit legt die UN -Menschenrechtserklärung klar die Rechte jedes Individuums, aber auch seine Pflicht fest, die Rechte anderer zu achten.
    Drittens gibt es
konsequentialistische
Systeme, in denen eine Handlung
anhand ihrer Folgen
als richtig oder falsch beurteilt wird. Ob ihre Konsequenzen »gut« oder »schlecht« seien, lautet hier die Frage, auch wenn man diese beiden Bewertungskategorien unterschiedlich definieren kann. Hat eine Handlung gute Folgen, ist sie selbst gut. Angenommen, wir definieren Lügen als schlecht. Im Sinne eines deontologischen Systems darf nicht gelogen werden. Nach einem konsequentialistischen System kann eine Lüge dagegen als akzeptabel oder sogar als gut gelten, wenn sie positive Folgen hat – wenn man zum Beispiel lügt, um eine Person vor der Verfolgung durch Übeltäter zu schützen. Umfassender definiert der Utilitarismus als eine Form des Konsequentialismus Handlungen als gut, die (für möglichst viele) größtmögliches Glück oder größtmögliche Zufriedenheit schaffen. Weit verbreitet, hat das konsequentialistische Denken aber auch Schattenseiten. Wenn nur Ergebnisse betrachtet werden, besteht das Risiko, dass die Mittel aus dem Blick geraten. Und der Utilitarismus birgt eine weitere Gefahr: Wenn für möglichst viele Glück und Zufriedenheit gefördert werden, bleiben Minderheiten leicht auf der Strecke.
    In der säkularen westlichen Gesellschaft praktizieren die meisten bei moralischen Entscheidungen im Alltag irgendeine Form des Konsequentialismus, gezügelt durch eine Deontologie und gelegentlich abgerundet durch einen Schuss Naturrecht – auch wenn die wenigsten darüber nachdenken, auf welchen Wegen sie zu ihren Entscheidungen gelangen.
    Es gibt aber noch einen weiteren Weg, auf den wir, neben dem Naturrecht, in den Schriften Aristoteles’ und Thomas von Aquins stoßen. Thomas betont, moralisch gute Entscheidungen würden erreicht, indem wir unsere menschliche Weisheit nach der Weisheit Gottes ausrichten. Gottes Weisheit lege das Naturrecht fest, wir aber müssten erkennen, dass der menschliche Charakter wachsen oder besser werden müsse, um diesem Recht Genüge zu tun. Mit anderen Worten: Charakter und Tugend (einschließlich Weisheit) spielen in unseren Entscheidungen eine bedeutende Rolle, wenn wir einer sogenannten
Tugendethik
folgen. Dies bedeutet nicht, dass Tugendethiker das moralische Regelwerk über Bord geworfen haben oder sich um die Folgen ihrer Taten nicht scheren. Im Gegenteil: Regeln und Konsequenzen angemessen zu beachten gehört zu einem tugendhaften Ansatz, wenn es um Entscheidungen geht (siehe Tom Wright, Kapitel
Wissenschaft, Ethik und Christentum/​ Die christliche Ethik
).

Die christliche Ethik
    Christliche Ethiker und Theologen schließen sich vermehrt der Sichtweise an, wonach das christliche Moralsystem eine Tugendethik sei. Auch wenn Regeln und die Folgen von Taten natürlich zu beachten sind, entspringen moralisch gute Entscheidungen dem christlichen Charakter. Spirituelle Bildung, Offenheit für die umgestaltende Kraft des Heiligen Geistes oder das Wachstum der Frucht des Geistes sind alles Aspekte der Entfaltung christlicher Tugend.

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