Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gott oder Zufall?

Gott oder Zufall?

Titel: Gott oder Zufall? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. J. Berry
Vom Netzwerk:
Betont wird dies von dem Philosophen Dallas Willard, der da sagt, dass manche Christen so viel Mühen darauf verwendeten, Menschen in den Himmel zu bringen, dass sie darüber vergäßen, »den Himmel in die Menschen zu bekommen«. Jesus gab uns einen klaren Grundsatz an die Hand: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.« (Mt 22,39) Zudem gab er mit seinem Verhalten für die christliche Tugend ein Beispiel und veranschaulichte mit Gleichnissen, wie sich der christliche Charakter in der Praxis verwirklichen soll.
    Wir finden keinen Jesus, der hochgehalten wird oder sich selbst als ein Beispiel für jemanden hochhält, der »Regeln einhielt«, sie bekräftigte oder neu deutete. Die Lebensart, die er vorführte, war eben keine, die sich auf Regeln reduzieren ließ oder sich schlicht im Bemühen ausdrückte, festgelegten Normen zu entsprechen. Sie war auch nicht dadurch zu erreichen …, dass man die wahrscheinlichen Folgen bestimmter Handlungen kalkulierte und abwog, damit diese Kalküle zu Entscheidungen und Handlungen führten. Und Jesus sagte sicher auch nicht, dass Menschen tun sollen, was ihnen »natürlich in den Sinn kommt«. Tatsächlich war das, was »natürlich« von Herzen kommt, in seinem Fall ebendas Problem. Der einzige Weg, wie wir im Kern zu einem Verständnis der moralischen Herausforderung vorstoßen, die Jesus bot und noch bietet, ist ein Denken, das sich nicht an Regeln oder dem Kalkül zu Auswirkungen oder einer romantischen oder existenzialistischen »Authentizität«, sondern an der Tugend festmacht. Eine Tugend, die vom Reich Gottes und vom Kreuz verwandelt wurde.
    Tom Wright, Virtue Reborn (2010) ⬅
    Paulus hob den Primat der Liebe hervor (1 Kor 13) und listete mehrere Aspekte des christlichen Charakters als Frucht des Geistes auf. »Dem allem widerspricht das Gesetz nicht« (Gal 5,22–23). Die Regeln spielen, wie angemerkt, gleichwohl eine Rolle, wenn auch eine untergeordnete innerhalb des umfassenderen Rahmens der Tugend.
    Wie lässt sich dies im Umfeld der modernen Wissenschaft umsetzen, die ein ganzes Spektrum von Fragen aufwirft, die sich bislang noch nicht stellten? Von der Bibel können (und sollten) wir hier keine Antworten erwarten. Wir sind mit Situationen und Entwicklungen konfrontiert, die man sich zu biblischen Zeiten nicht einmal im Traum hätte vorstellen können. Viele Schriftsteller warnen davor, Aussagen aus biblischen Versen oder Passagen auf Situationen zu beziehen, auf die sie nicht gemünzt waren, um, wie es häufig geschieht, eigene vorgefasste Meinungen zu rechtfertigen. Dagegen kann uns in diesen Fragen ein auf Tugend aufbauender Ansatz zu weisen Entscheidungen verhelfen.
    Mit kommunitaristisch gesinnten Theologen wie Richard Hays und Stanley Hauerwas sei hervorgehoben, dass sich der christliche Charakter idealerweise im Umfeld einer christlichen Gemeinschaft herausbildet. Dies gilt für die Diskussion bioethischer wie auch anderer Fragen. Das heißt nicht, dass Christen in allen Themenbereichen immer zu denselben Schlüssen gelangen. Vielmehr sollten wir uns vor denen vorsehen, die Anspruch darauf erheben,
die
christliche Sicht festzulegen. Dass unter Christen oft Meinungsvielfalt herrscht, tut dem kommunitaristischen Aspekt der christlichen Ethik keinen Abbruch. Unterschiedliche Meinungen müssen in der christlichen Gemeinschaft mit Liebe akzeptiert werden, um
die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens zu wahren.

Ethik und wissenschaftliche Praxis
    Ethische Systeme entwickelten sich, wurden entwickelt oder uns an die Hand gegeben: hauptsächlich damit menschliches Handeln und Zusammenleben in der menschlichen Gesellschaft funktionieren können. Dies bedeutet nicht, dass andere Lebewesen (und wohl auch die übrige Schöpfung) für die Ethik unbedeutend sind, sondern nur, dass das menschliche Tun und unser Umgang mit anderen bislang im Vordergrund standen. Die wissenschaftliche Forschung, die sich zumindest in den entwickelten Nationen eine wichtige Stellung eroberte, hat ihren eigenen ethischen Kodex, auch wenn Forscher außerhalb ihrer Labors nicht mehr oder weniger »Moral besitzen« als andere Bürger. Wissenschaftliche Praxis schließt sämtliche Normen der öffentlichen Debatte und des sozialen Zusammenwirkens ein, die in allen anderen Berufsfeldern gelten. Dazu wird von Christen unabhängig von der Berufstätigkeit erwartet, dass sie ihren
Nächsten lieben wie sich selbst
(Mt 22,39).
     
    Die Folgen des Hurrikans Katrina, New Orleans, 2005

Weitere Kostenlose Bücher