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Gott oder Zufall?

Gott oder Zufall?

Titel: Gott oder Zufall? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. J. Berry
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bewältigen, zum Beispiel eine »Theory of Mind«. Höhere Mächte werden dabei wie Menschen behandelt, wenn auch wie solche mit bestimmten, oft außergewöhnlichen körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Vorstellungen zu übernatürlichen Akteuren bilden sich dadurch heraus, dass gegen die Grunderwartungen der universellen ontologischen Kategorien (Person, Tier, Pflanze und Artefakt) verstoßen wird. So werden Geister von Vorfahren z.B. kognitiv als immaterielle Menschen verarbeitet. Die Vertreter der Nebenprodukt-These erkundeten zudem rituelle Verhaltensweisen. Menschen, die Riten ausführen oder beobachten, greifen dabei auf dieselben kognitiven Erwartungen und Annahmen zurück, die wir immer nutzen, wenn wir zielgerichtete Handlungen deuten.
     
    Ein betender Buddhist  ©  © Corbis/​Sam Diephuis
     
    Die meisten
Adaptationisten
stimmen noch mit der Grundannahme der Nebenprodukt-These überein: Demnach bildeten sich die psychologischen Mechanismen, die hinter religiösen Überzeugungen und Verhaltensweisen stehen, nicht eigens dazu heraus, um Religiosität entstehen zu lassen. Aber Religion – so die Adaptationisten – lasse sich am besten als ein Anpassungskomplex aus Merkmalen erklären, der kognitive, verhaltenspsychologische und evolutive Elemente umfasst. Religion besteht aus wiederkehrenden Kernmerkmalen, u.a. Ritualen, Mythen, Tabus, emotionsbesetzten Symbolen, Musik, veränderten Bewusstseinszuständen, dem Bekenntnis zu übernatürlichen Kräften und Jenseitsvorstellungen. Diese sind in den verschiedenen Kulturkreisen unterschiedlich stark ausgeprägt. So betonen manche Kulturen das Leben nach dem Tod mehr (Christentum) oder weniger (Judentum) stark. Auch bildeten sich diese Kernmerkmale zu unterschiedlichen Zeiten heraus. Rituale haben Vorläufer unter vielen Tierarten und sind wahrscheinlich deutlich älter als andere Kernmerkmale wie etwa Mythen. Bei der Entstehung der Religiosität in der Evolutionsgeschichte flossen kognitive Prozesse und Verhaltensweisen zusammen, die meistenteils schon zuvor existiert hatten.
     
    Eine Pilgerfahrt nach Mekka ist für gläubige Muslime Pflicht. Dadurch bekunden sie ihre Solidarität mit anderen Muslimen und ihre Unterwerfung unter Gott.  ©  © Photolibrary
     
    Auch wenn sich die einzelnen Merkmale der Religionen getrennt herausbildeten, verschmolzen sie in sämtlichen Kulturen auf ähnliche Weise irgendwann in unserer Evolutionsgeschichte und bildeten schließlich regulär ein funktionierendes System.
    Nach den Adaptationisten können wir nicht beurteilen, ob das religiöse System eine Anpassung oder ein Nebenprodukt ist, wenn wir seine einzelnen Bestandteile wie den Glauben an übernatürliche Kräfte oder rituelle Verhaltensweisen isoliert untersuchen. Wir müssen es umfassender betrachten, indem wir uns darauf konzentrieren, wie diese Bestandteile zum System beitragen und jeweils mit anderen zusammenwirken, um funktionale Ziele zu erreichen. Erst durch das System als Ganzes, nicht als einzelne Teile, werden sie in ihrer Funktion wirksam. Adaptationisten fokussieren sich auf vier Typen von Selektionsvorteilen, die religiöse Systeme schaffen können. Zwei davon haben mit Manipulation zu tun und begünstigen im Überlebenskampf deshalb wohl nur diejenigen, die mit Macht ausgestattet sind: Macht bei der Fortpflanzung und in der Politik. Zwei andere Typen von Selektionsvorteilen sind innerhalb der Gemeinschaften stärker verbreitet: Gesundheit und Kooperation innerhalb der Gruppe.
    Als eine mögliche Lösung in der Debatte um Anpassung oder Nebenprodukt kann man Religion als eine Exaptation betrachten, als ein bereits vorhandenes Merkmal, das durch natürliche Auslese eine neue Funktion erhält. Falls diese Annahme richtig ist, lautet die entscheidende Frage, ob die kognitiven und emotionalen Mechanismen, die das religiöse System gleichsam usurpiert hat, durch die neue, von der Religion geschaffene sozioökonomische Nische per Anpassung umfunktioniert wurden. Gegenwärtig fehlen ausreichende Fakten, um diese und andere Streitfragen zur Entwicklung von Religion zu lösen, aber das wachsende Interesse an dem Forschungsgebiet lässt vermuten, dass eine Lösung vielleicht nicht mehr weit ist.
     
    Gene für Religiosität
    Es wäre überraschend, wenn unsere genetische Veranlagung für unsere Spiritualität, unsere Neigung zum Glauben usw. keinerlei Bedeutung hätte. In manchen Darstellungen wurde die Frage allerdings maßlos hochgespielt.
    Aufs Tapet

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