Gott oder Zufall?
den Schwefel und den Kohlenstoff recht schnell, und es wird dann heiß genug, dass die Späne schmelzen und einen Funkenregen verursachen.« Der Fremde runzelte ein bisschen die Stirn, so als ob er nicht viel von Chemie verstünde, und so erklärte John: »Heute hat meine Mutter Geburtstag, und wenn es dunkel ist, zünde ich das als Überraschung für sie an.« Nun stand aber eine ganz andere Überraschung bevor, als der Fremde seinen Polizeiausweis hervorholte und um eine Erklärung bat, weshalb John gegen das Gesetz verstieß, indem er selbstgemachte Feuerwerkskörper entzündete.
Für die meisten Dinge gibt es nicht nur eine Erklärung –
die
Erklärung sozusagen. In diesem Fall gab es (I) eine wissenschaftliche Erklärung; ( II ) eine Erklärung in Bezug auf den Handelnden, der die Mischung hergestellt hatte; ( III ) eine Erklärung zur Absicht – um einen Geburtstag zu feiern; und ( IV ) eine forensische Erklärung (oder die mangelnde Erklärung!), die angeboten werden könnte, falls John dem Jugendrichter vorgeführt würde!
Diese vier verschiedenen Erklärungsarten konkurrieren jedoch nicht gegeneinander, sondern sie sind in logischer Hinsicht miteinander vereinbar. Würde dieser Punkt über die Pluralität miteinander kompatibler Erklärungen voll erfasst, würden viele der empfundenen Spannungen zwischen Wissenschaft und Christentum verschwinden. Bemerkenswert sind dabei die Vorstellungen, dass man sich zwischen dem Urknall und der Schöpfung und der Evolution und der Schöpfung zu entscheiden habe. Doch keines dieser Gegenstücke sind Alternativen; sie so gegeneinander aufzustellen ist falsch und beruht auf einem Missverständnis der theologischen Schöpfungsvorstellung. Die Schöpfung der Welt durch Gott ist ein zeitloser Akt eines Ins-Dasein-Berufens-und-im-Dasein-Erhaltens all dessen, was es gibt. Sie ist vollständig unabhängig von irgendwelchen besonderen physikalischen Ursprüngen (Urknall oder sonst irgendetwas) oder Zeitskalen. Wenn Gott alles erschaffen habe, legte Augustinus (354–430) dar, dann müsste er auch die Zeit erschaffen haben. Die moderne Physik lehrt, dass mit dem Urknall nicht nur die Zeit entstand, sondern auch der Raum. Da wir selbst in einer Raum-Zeit leben, finden wir es nahezu unmöglich, uns das vorzustellen, doch es veranschaulicht einen wichtigen Punkt, nämlich dass vieles an der modernen Wissenschaft widersprüchlich ist.
Richard Dawkins (* 1941), Evolutionsbiologe an der Oxford University und Prediger des Atheismus © © Getty Image/David Levenson
»Schöpfung« und »physikalische Ursprünge« müssen als logisch unterschiedliche Konzepte aufgefasst werden. Sie können niemals Alternativen sein. Die Schöpfung ist die Tat eines göttlichen Handelnden – die Tat Gottes. Er hat das Universum erschaffen und erhält es aufrecht, was die Theologen als
creatio ex nihilo
beziehungsweise als
creatio continua
bezeichnen. Erklärungen zu den physikalischen Anfängen der Welt und zum Ursprung der Arten durch natürliche Selektion sind in Bezug auf die Frage irrelevant, ob es eine erschaffene Welt ist oder nicht. Etwas anderes zu behaupten hieße, das zu begehen, was der Philosoph Gilbert Ryle einen Kategorienfehler nennt. Zu behaupten, dass man sich zwischen Schöpfung und natürlicher Selektion entscheiden müsse, wäre so ähnlich wie die Aussage, man müsse sich entscheiden, ob James Dyson dafür verantwortlich war, einen bestimmten Typ von Vakuumreiniger zu produzieren oder ob dieser das Ergebnis der Automatisierung einer Produktionslinie gewesen war. Wenn der Unterschied zwischen Schöpfung und physikalischen Ursprüngen erst einmal klar ist, stehen die Fragen, die dann angesprochen werden müssen, in Beziehung zu den beiden Schöpfungsberichten in Genesis 1,1–2, 4a und Genesis 2,4b–3,24.
In der Philosophie gibt es den Denkfehler von der ausgeschlossenen Mitte. Er wird begangen, wenn behauptet wird, es gebe nur zwei Positionen, zwischen denen man zu wählen habe, wenn andere doch auch noch logischerweise möglich sind. Richard Dawkins zeichnet häufig das Bild von Evolution und Schöpfung als zwei Alternativen, und ein Großteil des atheistischen Glaubens baut auf diesem instabilen Fundament auf. In seinem Buch
Der blinde Uhrmacher
behauptete Dawkins: »Obwohl Atheismus möglicherweise schon vor Charles Darwin logisch verteidigungsfähig war, hat erst Darwin es ermöglicht, ein intellektuell erfüllter Atheist zu sein.« Doch das ist
Weitere Kostenlose Bücher