Gott oder Zufall?
erfahren … wie es mir denn in den Sinn gekommen zu sein mag, entgegen der anerkannten Meinung der Mathematiker, ja nahezu entgegen allem gesunden Menschenverstand zu wagen, mir irgendeine Bewegung der Erde vorzustellen.
Doch Kopernikus lag im Sterben, und so wurde das Buch bei der Drucklegung im Auftrag von Kopernikus’ Freund – dem Bischof von Kulm – von einem Andreas Osiander begleitet. Osiander, der ebenfalls im Voraus mit Problemen rechnete, fügte ohne das Wissen von Kopernikus ein anonymes Vorwort ein. Mit der Überschrift »Über die Hypothesen dieses Werks« versuchte er, Kopernikus zu schützen, und behauptete, dass es einfach eine mathematische Theorie sei – eine
instrumentalistische
Auffassung:
… werden sie finden, dass der Verfasser dieses Werkes nichts, was getadelt zu werden verdiente, begangen hat. Ist es doch eigentümliche Aufgabe des Sternforschers, wissenschaftliche Kunde von den Bewegungen am Himmel mit Hilfe sorgfältiger und kunstfertiger Beobachtung zu sammeln; hierauf deren Gründe – oder doch wenigstens Grundannahmen, wenn er nämlich die wahren Gründe auf keine Weise ermitteln kann, irgendwelcher Art dafür auszudenken und zu ersinnen, unter deren Voraussetzung ebendiese Bewegungen aus Grundsätzen der Geometrie … richtig berechnet werden können … so erfolgt dies Sichausdenken doch keineswegs zu dem Zweck, dass sie jemanden davon überzeugte, so sei es, sondern nur dazu, dass man die Berechnung richtig einsetzen kann.
Kopernikus war zutiefst beunruhigt, als er am Sterbebett ein Druckexemplar von
De Revolutionibus Orbium Coelestium
erhielt und das eingeschobene Vorwort las.
Der Instrumentalismus in der Religion verschiebt den Fokus eher auf das, was die Religion für die Menschen tut, anstatt die Frage zu beantworten: »Ist das wahr?« Wie unbefriedigend er letztlich ist, zeigt sich daran, dass Gläubige der Wahrheit dessen, was sie glauben, eine hohe Bedeutung beimessen. Der letztgenannte Kritikpunkt in Bezug auf den Instrumentalismus betrifft auch die Wissenschaft, und die meisten aktiven Wissenschaftler halten ja – wie bereits zuvor angedeutet – an einer gewissen Form einer
realistischen
Position fest. Weder in der Wissenschaft noch in der Religion werden kognitive Aussagen einfach als »nützliche Fiktionen« betrachtet. Wovor sich der Instrumentalismus drückt, ist die Wahrheit.
Die Argumente der Zwei Bereiche ⬅
Diese Argumente vermeiden den schweren Erklärungsfehler des »Lückenbüßergottes«, indem sie eine Auswahl metaphorischer Bezeichnungen verwenden, um die Vorstellungen von Wissenschaft und Religion zu vermitteln, die unterschiedliche und voneinander getrennte
Domänen, Dimensionen, Felder, Ebenen, Bereiche, Sphären
oder auch
Gebiete
besetzen und sich
komplementär
zueinander verhalten. Allerdings tragen solche Bezeichnungen zu einem weiteren Problem bei. Wie kann man diese metaphorischen Begriffe so definieren, dass sie das vermeiden, was die Philosophen als
Überredungsdefinitionen
bezeichnen – als Definitionen, die entweder zu nichtinteraktionistischen oder zu interaktionistischen Schlüssen zwingen? Der Versuch, mögliche Beziehungen zwischen Wissenschaft und Religion durch diese Art einer ungenauen Klassifizierung klarzustellen, stellt sich dann als unbefriedigend heraus.
Charles Coulson legte in seinem einflussreichen Buch
Science and Christian Belief
dar, dass sich Wissenschaft und Religion »komplementär« zueinander verhalten, indem er die Idee des Komplementaritätsprinzips in der Physik erweitert. Dieses versucht das bekannte Paradox zu erklären, dass sich Licht und Elektronen entweder als Teilchen oder Wellen verhalten – oder beschrieben werden – können. Andere sind ihm gefolgt (siehe Kapitel
Das Wesen der Dinge/ Interaktionistische Positionen
), auch wenn Ian Barbour, der seine eigene Typologie von Wissenschaft und Religion entwickelt hat, einwendet, dass die »Anwendung des Komplementaritätsprinzips außerhalb der Physik
analog und nicht inferentiell
ist. Es muss unabhängige Gründe für die Rechtfertigung der Aussagekraft zweier alternativer Ausdrücke von Konstrukten im neuen Kontext geben.« Für Barbour bezieht sich das Komplementaritätsprinzip
»auf unterschiedliche Möglichkeiten, eine einzige Entität
(wie ein Elektron)
zu analysieren«,
und auch wenn es möglich sein könnte, das Prinzip auf »Geist-und-Gehirn«-Beziehungen auszuweiten, wäre es illegitim, es auf Wissenschaft und
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