Gott oder Zufall?
erzählten Wunder im Neuen Testament zu verstehen? Nach den Schlussfolgerungen von David Friedrich Strauß, Rudolf Karl Bultmann und einer Generation von Bibelwissenschaftlern im 19. und 20. Jahrhundert galten diese als Mythen, welche die Urkirche aufgebracht hatte, um den Glauben an Jesu auszudrücken.
Albert Einstein (1879–1955): »Wissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion
ohne Wissenschaft ist blind.« © © Art Archive/
So kristallisierten sich in den ca. 100 Jahren zwischen Huygens und Laplace jene Themen heraus, welche die Beziehung zwischen Physik und Glauben kennzeichnen sollten. Um die besondere Ordnung und Schönheit der Welt entstand eine Naturtheologie, in der viele den Plan und die Sinngebung Gottes erblickten. Gleichzeitig entschwanden die unmittelbare Beteiligung und das spezielle Wirken Gottes aus der realen Welt. Auch wenn die Relativitäts- und die Quantentheorie solche Aspekte ernsthaft in Frage stellten, ist fairerweise darauf hinzuweisen, dass die mechanistische Weltsicht Newtons im allgemeinen und im theologischen Bewusstsein weiterhin stark nachwirkt.
Eine relative Revolution
Am Ende des 19. Jahrhunderts standen die Physiker vor einem noch größeren Problem. James Clerk Maxwell hatte Elektrizität und Magnetismus in einer eleganten Theorie zusammengeführt, nach der Licht als Wellenbewegung aus elektrischen und magnetischen Feldern zu verstehen sei. Da Licht aber auch ein Vakuum durchdringt, braucht es ein Medium, in dem sich die Wellen ausbreiten: den Äther. Wie aber ließ sich dieser Äther aufspüren, so es ihn gab? 1887 versuchten Albert Michelson und Edward Morley in einem klassischen Experiment nachzuweisen, dass Licht in entgegensetzten Richtungen unterschiedlich schnell voraneilte, weil sich die Erde durch diesen angenommenen Äther bewegte. Wie sie aber feststellten, breitet sich Licht immer gleich schnell aus.
Dann erkannte Albert Einstein in einem Geniestreich, dass die Hypothese vom Äther überflüssig war. Lichtgeschwindigkeit war immer gleich, egal wie und wo sie gemessen wurde. Stattdessen wurde die Vorstellung einer immer gleich schnell vergehenden Zeit aufgegeben. Das Messergebnis für Zeit hing von der eigenen Bewegung ab. Uhren, die sich mit annähernder Lichtgeschwindigkeit voranbewegten, tickten langsamer als andere. Überraschend war zudem der Schluss, dass die Masse mit steigender Geschwindigkeit wächst, während die Länge schrumpft. Auch wenn wir diese Effekte im Alltag nicht wahrnehmen, weil sie erst bei annähernder Lichtgeschwindigkeit spürbar werden, konnte Einsteins spezielle Relativitätstheorie ( SRT ) in Experimenten klar bestätigt werden. In diesem Bild der Realität sind Zeit und Raum nicht vollständig voneinander geschieden, sondern müssen vielmehr in einem Bezugssystem, der sogenannten Raumzeit, untersucht werden.
In seiner allgemeinen Relativitätstheorie ( ART ) bezog Einstein dann auch die Schwerkraft ein. Nach ihr war die Raumzeit nicht fest und beständig. Vielmehr bestimmten Masse und Verteilung der Materie im Universum die Geometrie des Raumes und die Geschwindigkeit des Ablaufs der Zeit. Seine Vorhersage der Raum-Zeit-Krümmung wurde experimentell bestätigt.
Dieses Bild von der Welt weicht stark von dem unserer Alltagserfahrung ab. Tatsächlich brachte die ART – neben anderem – »die Tyrannei des gesunden Menschenverstandes« zum Einsturz, wie John Polkinghorne es fasste – mit höchster Bedeutung für den christlichen Glauben. So hob, als einer von vielen, der Theologe T.F. Torrance hervor, dass wir die Struktur der Raumzeit sinnlich nicht erfassen können, weshalb sie zur Demut vor den überraschenden Aspekten des Universums als Ganzem ansporne. Auch löste das Konzept der Relativität das Newtonsche Modell der absoluten Natur von Raum und Zeit ab, das theologisch zur mechanistischen Sichtweise des Universums geführt hatte. (Darauf wird zurückzukommen sein.)
Einsteins Weltbild zeigt keine isolierte Zeit, sondern eine, die in Beziehung zum Raum, zur Art ihrer Messung und zur Masse umliegender Körper steht. Von da aus ist es nur noch ein kleiner Schritt, sie auch zu Gott in Beziehung zu setzen. In vielen Überlegungen um Gott taucht sie als ein isoliertes ontologisches Konzept mit der Frage auf, wie denn Gott »eingreifen« oder »zeitlos« sein kann. Die Beziehung zwischen ihm und der Zeit ist vielleicht deutlich organischer in dem Sinn, dass die Existenz von Zeit vom anhaltenden
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