Gott oder Zufall?
Verstehbarkeit ein Hinweis auf Realität sein könne.
Manche, so der in Kalifornien lebende Physiker Fritjof Capra in
Das Tao der Physik,
vertraten die Ansicht, dass die Quantentheorie mit ihrer Unbestimmtheit und Logik eine Weltsicht bejahe, die den östlichen Philosophien näher stehe als dem Christentum. Diese Auffassung war in gewissen Kreisen (insbesondere den Vertretern des »New Age«) beliebt, fand unter Physikern und Theologen aber kaum Unterstützung. Auch wenn die Bilder von der Quantenwelt mit so manchem östlichen Denken harmonieren, beinhaltet die Quantentheorie eine mathematische und universelle Gesetzmäßigkeit, die in enger Beziehung zur jüdisch-christlichen Sicht eines gewissenhaften Schöpfers steht, aus dem die Ordnung des Universums hervorging.
Chaos: Ungewissheit im Alltag
John Polkinghorne argumentierte, wenn es in der physischen Welt Raum zur Ausübung eines freien Willens gebe, müsse sicher auch Gott über so einen Raum verfügen. Und diesen lokalisierte er dann nicht in der Quantenwelt, sondern in chaotischen physikalischen Systemen. Sie haben diesbezüglich gegenüber Quantensystemen den großen Vorzug, dass ihre Auswirkungen auf alltäglicher Ebene spürbar werden. In ihnen, so Polkinghorne, habe Gott freies Spiel, auch wenn sein Walten nicht unmittelbar sichtbar sei.
John Polkinghorne (* 1930), mathematischer Physiker und christlicher Apologet © © Alamy/Jeff Morgan 11
Die Entdeckung des Chaos verhalf zu der Einsicht, dass Newtons Gesetze allein die Zukunft nicht wie erwartet vorhersagen können. Die umfassende Bedeutung der Chaostheorie wurde erst in den letzten Jahrzehnten erkannt, hauptsächlich mit Hilfe von neuen Hochleistungscomputern, die Berechnungen in atemberaubender Geschwindigkeit durchführen. Wenn wir Probleme lösen wollen, arbeiten wir uns von den leichteren zu den schwierigeren voran. Newton entwickelte seine neue Gravitationstheorie anhand eines ziemlich einfachen Systems, das, wie die Rotation der Erde um die Sonne, aus nur zwei Körpern bestand. Dies ermöglichte exakte Berechnungen. Leider ist die übrige Welt meistens deutlich komplizierter. In ihr reagieren die meisten Systeme höchst empfindlich auf ihre Umgebung und ändern bei der leisesten Störung radikal ihr Verhalten. Dies macht so ein System schon auf kurze Sicht unberechenbar. Deswegen sind auch kurzfristige Wettervorhersagen relativ zuverlässig, während längerfristige immer unzuverlässiger werden. Die Erdatmosphäre verhält sich teilweise chaotisch. Auch wenn die Gesetze der Physik bekannt sind, sorgen die höchst sensiblen Ausgangsbedingungen für unvorhersagbare Ergebnisse. Bekannt wurde dieses Problem als der sogenannte Schmetterlingseffekt, benannt nach dem 1972 gehaltenen wissenschaftlichen Vortrag von Edward Lorenz mit dem übersetzten Titel: »Vorhersagbarkeit: Löst der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas aus?«
Wenn sich ein System durch eine chaotische Dynamik auszeichnet, ist sein Verhalten nur dann vorhersagbar, wenn die Anfangsbedingungen mit unendlicher Präzision bekannt sind. Für endliche Wesen bedeutet dies, dass einige Systeme in der Alltagswelt auch dann im Ungewissen bleiben, wenn die Gesetze der Physik bekannt sind.
Ist es daher überhaupt sinnvoll, für Regen zu beten? Ja, sagt Polkinghorne, denn das Wetter ist ein chaotisches System, offen gegenüber der Zukunft. Ist es auch sinnvoll, für einen Sommer vor dem Frühling zu beten? Die Antwort lautet nein, denn der Wechsel der Jahreszeiten wird festgelegt durch ein einfaches, nicht chaotisches System: durch die Rotation der Erde um die Sonne. Diese Vorstellung mag verlockend erscheinen, um die Existenz von Wundern zu verteidigen. Aber auf dieser Straße lauert die Gefahr, Gott so zu begreifen, dass er nur in chaotischen Systemen und nicht anders wirken könne. Auch sind für die Verfasser der Bibel Wunder Zeichen des göttlichen Wirkens. Falls Gott in chaotischen Systemen »verborgen« wirkt, sind seine Wunder dann wirklich Zeichen?
Auch kann man mit dieser Sicht in die Falle geraten, naturwissenschaftliche Gesetze eher präskriptiv als deskriptiv zu begreifen. Sie besagt, dass die Gesetze im Chaos weniger präskriptiv seien. Wie die Quantentheorie macht es einem auch die Chaostheorie nicht leicht, Wunder zu verstehen. Allerdings erinnert sie auf ähnliche Weise daran, dass das Problem eines Gottes, der die Newtonsche Weltanschauung verletzt, gar nicht so gravierend
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