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Gott-Poker (German Edition)

Gott-Poker (German Edition)

Titel: Gott-Poker (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Scholz
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der Leinwand zurückgebli eben ist. Man ist ganz alleine, und es gibt keinerlei Anweisungen. Und dann weiß man nicht, was man tun soll. Man will wissen, was das Leben ausmacht. Man will es wissen, denn man kann es nicht ertragen, einfach nur so da zu sein.«
    »Nein«, sagte Klara, »das kann man nicht ertr agen.«
    Sie schwiegen.
    »Was« – fragte Klara schließlich – »was war das für eine Stimme?«
    Die Baronin zuckte die Schultern. »Ich habe diese Stimme auch einmal gehört«, sagte sie dann. »In der Nacht, als Magdalena –
    Ich saß hier, da hinten in der Ecke am Boden, und wagte nicht, nach drüben zu gehen, wo sie sie hingetragen hatten, als wir merkten, dass etwas schief gegangen war.«
    »Was habt ihr gemacht?« flüsterte Klara.
    »Wir haben uns verrannt«, sagte die Baronin. »Ich kehrte eines Morgens in mein Elternhaus zurück und ließ die anderen hier. Ich wusste einfach nicht mehr, wie ich noch weiter existieren sollte. Ich habe Nicolas geliebt, aber er – ich konnte ihn nicht mehr erreichen. Und ich bin – kein Mensch, der es besonders leicht ertragen kann, wenn man ihn nicht beachtet. Nicolas beachtete mich nicht mehr. Er war Magdalena verfallen, oder vielmehr war er sich selbst verfallen, dem Alkohol, dem Irrsinn, irgendetwas herausfinden zu können, etwas Besonderes zu sein. Er war einfach sehr weit gefallen. Mehr als wir anderen. Er nannte sie Madeleine-Mary , weiß der Teufel, warum, und er fiel über sie her wie ein Tier.«
    Die Baronin sprach nicht weiter, und Klara wagte nicht, sie anzusehen. Sie dachte an den Witz, den die Stimme gemacht hatte: Sie fielen in die Felle.
    »Denken Sie nicht mehr daran«, sagte Klara.
     
    »Ja«, sagte die Baronin, »ich denke wirklich nur selten daran. Viel Zeit ist vergangen, und in gewisser Hinsicht stimmt es, dass die Zeit die Wunden heilt. Aber in gewisser Hinsicht stimmt es auch nicht. Denn mit jeder Wunde, die man das Leben heilen lässt, gestattet man dem Leben, ein anderes zu werden. Und dann ist man nicht mehr das, was man in seinen Träumen war.«
    Die Baronin versuchte, ihrer Stimme einen fest eren Klang zu geben.
    »Ich fand es fast faszinierend, wie Magdalena sich ihm hingab«, sagte sie dann. »Sie war sonst so stark, so – unerbittlich. Schließlich war sie es, die die ganze Arbeit machte. Sie schlachtete hier die ganzen Tiere, schnitt sie auf, versetzte ihnen irgendwelche Substanzen, zog ihnen die Haut ab, zersägte ihre Kn ochen. Eigentlich hätte man sie einliefern müssen. Es war ja – es war ja vollkommen sinnlos. Wir wollten nur besonders sein, wir wollten uns nicht abfinden. Es war irgendwie – groß, dachten wir. Hier in diesem Haus zu sein. Die ganzen Tiere und das Blut. Zu viert zu sein war großartig. Es machte uns verbunden. Je mehr Abartigkeiten wir zusammen begingen, je mehr wir uns gegenseitig verletzten und uns in Verzweiflung stürzten, uns gegenseitig dabei zuschauten, wie wir nicht damit zurechtkamen, umso mehr verband es uns. Für unser ganzes Leben, dachten wir. Dass man für die Freundschaft sein eigenes Leben aufgibt. Dass man dann nicht mehr alleine ist. Ein romantischer Blödsinn. Und wir hätten auf keinen Fall so viel Blut dafür vergießen dürfen. Manchmal, - manchmal«, sagte die Baronin, »manchmal bin ich froh, dass Magdalena tot ist. Für sie bin ich froh. Ich würde nicht gern damit leben, so viele Tiere ermordet zu haben. Und auch für mich bin ich manchmal froh. Solange es jemanden gibt, der weiß, zu was man fähig ist, kann man es selbst nicht vergessen. Andererseits – ist das gerade das Schlimme. Dass es niemanden gibt, der weiß, wozu man fähig ist. Es ist alles so flach, ohne sie. Es gibt niemanden, der unter die Oberfläche sehen kann, und das ist die schlimmste Form der Einsamkeit.
    Doch wenn wir auch anfangs dachten, es wäre groß und griechisch und wir würden unseren Ve rstand opfern, um zusammen sein zu können, um besonders zu sein, eins zu werden, das Leben herauszufordern, Gott und dem Schicksal einen Sinn abzupressen - irgendwann war es erbärmlich und widerlich. Das ganze Blut überall. Kaltes, getrocknetes Tierblut. Dieser Gestank. Und wir mitten darin. Widerlich. Ich habe den Gestank heute noch manchmal in der Nase. Ich kann nichts anderes essen als Gurken«, sagte sie, »alles andere hat mir zuviel Substanz, und dann kommt der Gestank zurück.«
    Die Baronin wiegte, auf der äußersten Kante des Stuhles sitzend, schaukelnd ihren Oberkörper vor und zurück und hielt sich

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