Gott sacker Kriminalroman
nach
Riedhagen verlegte Stammtisch. Als ich durch die bleierne Hitze mein Ziel
ansteuerte, hatte ich immer noch das Gefühl, auf den Bildern aus der Kapelle
etwas übersehen zu haben.
Erst als ich im Zentrum des Dorfes die beiden unter der Linde
dastehen sah, fiel es mir wieder ein. Philipp hatte eine Wandergitarre lässig
über seinem hageren Rücken hängen. Er trug wie ein Relikt aus Urzeiten eine
lilafarbene Batik-Latzhose, seine ungepflegten Haare hingen ihm wild auf die
Schultern. An den Füßen trug er außer Schweiß nichts. Hilde war sportlich
gestylt und fummelte an den Dochten von winzigen Kerzen herum. Sie hatte
fotokopierte Blätter mit geeigneten Liedern zwischen Ellbogen und Rippen
geklemmt. Ihr vorwurfsvoller Blick und die Teelichtchen in der Hand verrieten
mir alles.
»Wir warten schon über eine halbe Stunde. Ich hatte
19 Uhr gesagt! Die anderen kommen bestimmt nach, wir ziehen jetzt los.«
Aus einer Umhängetasche wurstelte sie ein fürchterlich
orangefarbenes Feuerzeug, auf dem sich das Logo einer kleinen Hand befand, und
versuchte die Dochte von drei Teelichtchen zu entflammen.
Auffordernd packte sie mich am Arm.
»Hättest ruhig was Besseres anziehen können als deine
Honda-Jacke!«
Das Innerste meiner Seele war getroffen.
Honda-Jacke! Ja, kann diese Psycho-Kuh nicht zwischen Honda
und Harley unterscheiden? Nur weil beides mit ›H‹ anfängt.
»So etwas sportlich Knappes, wie du es trägst, habe ich
leider nicht.«
Provokativ starrte ich auf ihre festen Brüste.
»Lass den Blödsinn!« Ärgerlich zupfte sie an ihrer dunklen
Kurzhaarfrisur.
»Und meine lila Latzhose hat mir das Museum für
Frühgeschichte abgekauft.«
Ich schaute nicht zum mageren Philipp mit seiner Gitarre und
den nackten Füßen.
»Etwas mehr Toleranz würde einem studierten Theologen auch
nicht schaden …«
Als ich gerade zu einem vernichtenden rhetorischen Konter,
der mir ein weibliches Psychogruppenmitglied weniger beschert hätte, anheben
wollte, rief es vom Goldenen Ochsen her: »Danile, komm jetzt endlich rein, du
hast mir versprochen, dass du mir heute die Wurlitzer richtest.«
Sofort hatte ich kapiert: »Ja klar, … tschüs,
Hildegard, tschau, Philipp, bis zum nächsten Mal in der Gruppe … habe
schon was Tolles vorbereitet: mystagogische Meditation mit mir.«
Am Ärmel zog mich Frieda durch die Gaststube mit den riesigen
Eichenbalken und der niedrigen Decke in den Biergarten. »Was will denn die
Schnalle von dir?«
Ich erklärte ihr die Sache mit der Psychogruppe.
»Und da sind nur Frauen?«
»Ja.«
»Bist gestern noch gut ins Bett gekommen?«
»Ja, das Schieben ging leichter, als ich dachte.«
»Du Depp, ich hab ja mitgeschoben hinten dran. Du bist ja
nicht mal aus dem Kies hier rausgekommen. Weißt das nicht mehr? Was glaubst,
wer dich ins Bett gebracht hat? Die Nachtfrau? Du konntest dich ja kaum am
Lenker festhalten.«
Die Erinnerungen wollten sich nicht einstellen. Das war
vielleicht auch besser so.
Neugierig
schaute ich, ob es Anzeichen für Cäcis Anwesenheit gab, aber es war nichts zu
entdecken, weder im Gastraum noch im malerischen Gartenbereich. Ich schaute
auch in den weiten, von der Straße her nicht einsehbaren hinteren Bereich des
Gasthauses, aber ihr grüner Mazda war nirgends zu sehen. Vielleicht war das
Auto mal wieder kaputt und sie war mit einer Mitfahrgelegenheit gekommen,
vielleicht auch mit dem Zug. Fragen wollte ich Frieda nicht, das war mir etwas
peinlich, seit Cäci und ich uns getrennt hatten.
Vom Dorf her waren das Geschepper von Philipps Gitarre und
der hohe Gesang Hildegards zu hören.
An den Tischen herrschte reger Betrieb. Nicht nur die
Kurgäste aus der nahen Stadt waren neugierig auf den neuesten Tratsch – auch
viele Riedhagener saßen in bekannten und sozial stabilen Gruppierungen
beieinander. Die Stimmen waren meist gedämpft. Die Köpfe waren dichter
beieinander als vor einer Bürgermeisterwahl. Immer wieder schauten sie zu mir
und nickten wissend mit den Köpfen.
Unser Stammtisch war aus gegebenem Anlass für diesen Freitag
aus dem badstädtischen Bohnenstengel nach Riedhagen verlegt worden.
Joe, Butzi, Flaschen-Gordon und Gesicht waren zuerst nicht
begeistert gewesen, aber als sie meine Story gehört hatten, waren sie
überzeugt, dass hier mehr abgehen würde als in unserer Stammkneipe in Bad
Saulgau. Unser Milwaukee-Iron-Kings-Eagle-Boys-Only-Street-Stammtisch, kurz
auch MIKEBOSS
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