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Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Titel: Gott und die Staatlichen Eisenbahnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ustinov
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Klangreserven eines mittelviktorianischen Orchesters; es gibt den Gott der frommen Funkhäuser in den Sendegebieten der amerikanischen Fernseh-Prediger, ein Gott der randlosen Brillen und der ernsthaften Begegnung von Mensch zu Mensch, ein Gott der elektrischen Orgel, des neugotischen Spitzbogens, ein Gott von der Straße, ohne nutzlose Vorliebe für barocke Kunst.
    Man braucht nicht Katholik zu sein, um eine Ahnung vom italienischen Gott zu haben – nicht der bärtigen Gestalt, wie die Maler der Renaissance sie abbildeten, sondern des Widerscheins im himmelwärts gerichteten Auge der schlichten Witwe, für die alles zu kompliziert geworden ist, um sich noch ein Urteil zu bilden, geschweige denn eine Lösung zu finden. Es ist die letzte Instanz der Vernunft, nach aller Enttäuschung über eine irdische Gerechtigkeit, die letzte Stimme, die der Polizei, den Richtern, den Anwälten, den Regierungsbeamten ins Gewissen redet, all jenen, die Papiere zu unterschreiben, Karten zu lochen, Briefmarken zu stempeln haben, diese Last, die jeder Sterbliche für die Frist seines Erdendaseins wie ein Atlas auf den Schultern schleppt – und je ärmer das Land, desto größer die Last. Manchmal gehen sogar den zungenfertigen Italienern die Argumente aus, und dann wird ein Streik ausgerufen. Niemand ist sich recht sicher, wer ihn ausgerufen hat, und diejenigen, die ihn ausrufen, sind sich nie ganz sicher, ob der Aufruf zum Streik befolgt werden wird. Weil die Gewerkschaften nicht über die Mittel für längere Protestaktionen verfügen, haben solche Streiks nur den Wert von Störaktionen. Sie sollen die Regierung daran erinnern, daß die Gewerkschaften existieren, doch sie erinnern die Regierung auch daran, daß die Gewerkschaften verhältnismäßig schwach sind. Am 8. November wurde in ganz Italien ein Streik der Eisenbahner ausgerufen. Aufrührerische Transparente gingen hoch, mit viel Gerede von Brot, Lohn und Ehre. Mitternacht sollte die Stunde der Aktion sein. Um zwanzig vor neun – oder vielmehr um zwanzig Uhr vierzig – geht jeden Abend von Rom ein Zug nach Florenz, Mailand, Domodossola und Genf ab, mit Kurswagen nach Dünkirchen, Hamburg, Zürich und Brüssel. Mehrere Schlafwagen sind an die regulären Waggons angekuppelt, und deren Insassen sind ausnahmslos hochgradig international. Ich kann verbindlich nur über die Reisenden im Schlafwagen Nummer drei sprechen, mit Zielort Genf, denn ich war einer von ihnen.
    Ich kam etwa zehn Minuten vor Abfahrt des Zuges am Bahnhof an. Die Mehrheit der Gepäckträger wirkten verdrossen. Entweder waren sie streiklustig oder sonst irgendwie befangen. Als ich unter der Last meines Gepäcks von meinem Taxi wegtorkelte, deutete ein Träger auf einen anderen, der auf seinem Karren saß und auf einen dritten deutete, der an der Wand lehnte und auf einen vierten deutete. Dann tauchte aus dem Nirgendwo ein fünfter auf, hilfsbereiter, als ein Gepäckträger es sein sollte. Worte fielen.
    »Italien wird noch an Dummheit ertrinken, solange es Kreaturen wie dich gibt«, sagte der erste Träger. Der zweite spuckte nur aus. Dies war seine Art von Beredsamkeit. Mein Träger stellte meine Koffer ab. »Leute, ich will euch was sagen – «
    »Von Streikbrechern wollen wir nichts hören«, sagte der dritte.
    »Geh in die Heilige Messe«, sagte der vierte, der ins Leere starrte und einen Löwenzahnsamen kaute. »Der Streik wird erst nach Mitternacht ausgerufen«, fuhr mein Gepäckträger fort, »aber ihr Leute tut so, als hätte er schon angefangen. Das ist nicht ehrlich.«
    »Du arbeitest extra hart, um die Zeit gutzumachen, die du während des Streiks verlieren wirst. Nennst du das ehrlich?«
    Der erste Träger geriet in Rage. »Ist doch zwecklos, mit einem Idioten zu diskutieren. Geh in die Heilige Messe, das ist’s, wo du hingehörst – zu den Priestern.«
    »Es geht gar nicht um die Priester«, gab mein Gepäckträger zornig zurück, »sondern um die Ehre, und darum, ob wir eine bella figura vor den Ausländern machen. Nach Leuten wie euch beurteilen die meisten Ausländer unser Land.«
    »Tut den Ausländern ganz gut, unser Land zu sehen, wie es wirklich ist«, sagte der dritte Träger. »Und außerdem, zum Teufel mit den Ausländern.«
    »Wo wäre unsere Wirtschaft ohne die Ausländer?« sagte mein Träger. »Wollt ihr mir das beantworten?!«
    »Wir könnten allesamt reich sein, wenn die Schätze des Vatikans unter das Volk verteilt würden«, sagte der erste. Ich erlaubte mir, mich

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