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Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Titel: Gott und die Staatlichen Eisenbahnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ustinov
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einzumischen. »Mein Zug fährt in sieben Minuten.«
    Mein Träger hob mein Gepäck auf und warf es auf seinen Karren. »Die Schätze des Vatikans verteilen«, brummelte er, halb im Laufschritt. »Die Kommunisten finden immer solch eine negative Lösung. Gut, verteilen wir die Schätze der Kirche. Für einen Nachmittag wären wir alle reich – und was dann? Wir würden alle wieder arm sein, einschließlich der Kirche. Es ist besser, wenn es auch Reiche gibt, es ist beruhigend. Eh! Das Geheimnis ist, daß es schwerfällt, reich und ein Kommunist zu sein. Ich weiß nichts über die anderen, die Russen, aber hier hat jeder Kommunist die Hoffnung, sich irgendeine erfolgreiche Masche auszudenken, damit er kein Kommunist mehr zu sein braucht. Der Kommunismus ist, strenggenommen, für die Habenichtse, und jeder will etwas haben. So tief geht das, und nicht weiter.«
    Nach all der Hetze war die Atmosphäre vor Schlafwagen Nummer drei überraschend ruhig, sogar ernst. So viele grausame Waffenstillstände sind in Eisenbahnwaggons unterzeichnet worden, daß nicht viel fehlt, um sie mit einer Aura von Verhängnis und Schwermut zu umgeben. Jetzt stand eine kleine Gruppe von Beamten vor der Eingangstür, die miteinander tuschelten, während der Dampf träge unter dem Zug hervorkreiselte und sich um ihre Beine wand. Sie verglichen Dokumente, machten Notizen, strichen Dinge aus. Der Schaffner sah mir direkt in die Augen, und schon fühlte ich mich wie ein General in der Niederlage. »Es ist doch klar«, sagte er, »daß Sie auf eigene Gefahr reisen.«
    »Ja«, sagte ich. Es war eine bedingungslose Kapitulation, aber was blieb mir übrig? »Wieviel schulde ich Ihnen?« fragte ich meinen Träger.
    »Was Sie wollen, Dottore.« Er zuckte fatalistisch die Schultern, was das Bild notleidender Kinder beschwor, die sich mit einer Brotkruste begnügen würden. Es war unehrlich, aber brillant. Es gibt eine feststehende Gebühr pro getragenem Gepäckstück. Das wußte ich, aber ich gab ihm trotzdem zuviel. Ich wünschte nicht, daß jemand gerade in diesem Moment seinen Glauben an den Kapitalismus verlöre. »Wie sieht es aus?« fragte ich den Schaffner. »Schlecht«, erwiderte er. »Vor einer halben Stunde war es besser; vor einer Viertelstunde war es dann schlechter. Jetzt ist es einfach nur schlecht.«
    Er war ein gutaussehender Mann, dieser Schaffner, dem es gelang, in seiner braunen Wagon-lit-Uniform militärisch zu wirken. Er war jung und von dunklem Typ, mit dem berechnenden Blick eines Mannes, der gern die Initiative ergreift und das Gefühl hat, den Finger am Puls der Ereignisse zu haben.
    Ich stieg ein und sah die meisten Insassen des Waggons auf dem Korridor. Die Dame im Nachbarabteil wirkte herrisch und zugleich besorgt. Später erfuhr ich, daß sie die Herzogin von Calapiccola war und daß wir absolut keine gemeinsamen Freunde hatten. Sie hielt ein winziges Hündchen im Arm, das wie ein Chamäleon mit ihrem bräunlichen Tweed verschmolz. Es war unsichtbar, bis es bellte, was es manchmal auf eine ganz eigene Art tat, etwa wie das bronchiale Rülpsen eines sehr alten und sehr dicken Mannes. Leute, die diese Stimme gehört, nicht aber den Hund gesehen hatten, neigten dazu, die Herzogin meist voll Überraschung anzublicken, ein Blick, dem sie mit einem Zurückstarren von melodramatischer Feindseligkeit begegnete. Weiter entfernt auf dem Gang stand eine ältere Nonne von irgendeinem seltenen Orden. Der kleine Teil ihres Gesichts, der sichtbar war, gab keinen Hinweis auf dessen wahre Dimensionen. Vielleicht hatte sie einen Hang zur Fettleibigkeit, oder vielleicht war sie spindeldürr; ich wußte es nicht und wollte es auch nicht wissen. Was ich sehen konnte, war weniger rosig als vielmehr weiß, mit purpurnen Rötungen, dazu ein so in sich gekehrter Gesichtsausdruck und ein so rätselhaftes und beharrliches Lächeln, daß ich nur den Wunsch hatte, jeden Kontakt mit ihr zu meiden. Ohnehin hatte sie Gesellschaft, in Gestalt eines hageren, säuerlichen Priesters mit Schuppen auf den Schultern. Sie unterhielten sich flüsternd, wobei er sie mit einer gelblichen, galligen Intensität anblickte und sie mit kaum wahrnehmbarer Lippenregung antwortete, ihre Augen so sittsam gesenkt, daß sie wie die groteske Karikatur eines wohlerzogenen kleinen Mädchens wirkte.
    Dann gab es natürlich den unvermeidlichen amerikanischen Individualisten, der überall irgendwie in Eile war, dauernd seine Uhr mit anderen Uhren vergleichend, Fahrscheine studierend,

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