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Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Titel: Gott und die Staatlichen Eisenbahnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ustinov
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eine Antwort abzuwarten: »Aha, da haben wir eine feine Dame, die so darauf brennt, das sozialistische Paradies zu verlassen, daß sie es sogar mit illegalem Ausbruch versucht. Ich seh’s am Zustand der Beine der Gnädigsten, daß sie versucht hat, den Stacheldraht zu überwinden, den die Staatsführung vorsorglich zu unserem Schutz um unsere Grenzen gespannt hat. Aber da sie feststellen mußte, daß unsere Pioniere tüchtige Arbeit geleistet haben, stellt sie sich seelenruhig den Zollbehörden und erwartet, hindurchgewinkt zu werden.«
    »Sie mißverstehen völlig – «
    »Ruhe!« donnerte der Major. »Diese Grenzkontrollbeamten haben sich schwerer Pflichtversäumnisse schuldig gemacht und werden bestraft werden. Über hundert Bürger unseres Landes konnten nach Österreich hinüberwechseln. Dies ist eine unerträgliche Situation. Zweifellos haben sie geglaubt, solch eine kriminelle Ausreise sei möglich. Ich bin hier, um ihnen zu sagen, daß Sie sich geirrt haben. Ein Exempel wird an euch allen statuiert werden!«
    »Ich bin amerikanische Staatsbürgerin«, sagte Mizzi gelassen und zog ihren Paß aus der Tasche.
    Die Augen des Majors verengten sich. »Lassen Sie mich sehen«, fauchte er. »Mrs. Schiffnick. Geboren in Kekesfeharvar. 9. Juli 1908.«
    »Mußten Sie der vollzähligen Versammlung das Datum laut vorlesen?« fragte Mizzi erbost. »Es müßte 1918 heißen.«
    »Kekesfehervar? Für unsere Zwecke sind Sie Ungarin.«
    »Ich bin Amerikanerin, und der Konsul in Budapest weiß, daß ich hier bin«, sagte Mizzi.
    »Sie hatten heute in den frühen Morgenstunden einen Herzanfall«, antwortete der Major mit einem, wie er sich vorstellte, liebenswürdigen Lächeln. »Die Volksregierung wird Ihrem Freund, dem Konsul, ihr Beileid aussprechen.« Das Lächeln schwand aus seinem Gesicht. »Bringt sie raus, und erschießt sie!« schrie er.
    Die Bauern gerieten in Panik, aber Mizzi blieb bemerkenswert ruhig. Sie kannte keine Operette mit solchem Schluß. Genau in diesem Moment klingelte das Telefon. Der Major hob den Hörer ab. Während er dies tat, hörte man das Geräusch eines Motorrads.
    »Was? Unmöglich!« brüllte der Major. »Wiederholen Sie das langsam, zum Mitschreiben. Ich kann es nicht glauben. Was sind das für Geräusche, die ich höre? Schüsse? Szilay – Szilay, antworten Sie! Ich befehle Ihnen, zu antworten!« Während dieses stockenden Gesprächs war ein junger Mann in Lederjacke hereingekommen und hatte aufgeregt mit den zwei Zollbeamten geflüstert. Kaum hatte der Major den Hörer aufgelegt, wurde er von den drei anderen Männern ergriffen und trotz heftiger Gegenwehr aus dem Raum geschleppt. Nach kurzer Pause hörte man drei Schüsse. Die Zollbeamten kehrten zurück, und der Ältere von ihnen, ein großer, blonder, asketischer Mann, verkündete, daß eine ausgewachsene Revolution durch das Land fege. »Dies ist das Geschäft der jüngeren Leute«, fügte er hinzu. »Es steht Ihnen frei, zu gehen.« Und zu Mizzi gewandt, sagte er: »Mütterchen, ich rate Ihnen, keine Tricks mit gefälschten Pässen zu versuchen. Wenn er uns nicht getäuscht hat, wird er gewiß auch nicht die Amerikaner täuschen.« Und damit warf er ihren Paß in den Papierkorb.
    »Warum haben Sie mich Mütterchen genannt?« fragte Mizzi, tief verletzt. »Bin ich so alt?«
    Am selben Abend fand Mizzi sich in einem Flüchtlingslager an der Straße nach Wien wieder. Eine holländische Krankenschwester hatte ihre Wunden versorgt, sie trug warme Kleidung, aus Italien geschickt, und sie hatte einen Schnupfen, den sie selbst beigesteuert hatte. Man hatte noch nicht entschieden, was mit den Flüchtlingen geschehen solle, und sie saßen schwatzend und rauchend in einem kahlen Raum herum.
    Im Verlauf des Abends kam ein Photograph hereinspaziert. Seine Kleidung und seine Manieren verrieten den Amerikaner, und es lag etwas überaus Erfolgreiches in seiner Ungepflegtheit und der kalkulierten Art, wie der Kaugummi in seinem Mund ihm nachdenken half. Er war mit Kameras und Blitzlichtern behängt. Mit geübtem und berechnendem Auge blickte er sich in dem überfüllten Raum um. Mizzi wußte, der Vorhang war aufgegangen, und ohne die Spur von Schüchternheit füllte sie ihre Lungen mit Luft, die dann mit den Klängen von Deine Stimme ist wie eine Symphonie verströmte. Alle Köpfe im Raum wandten sich ihr zu, um zuzuhören. Die Blitzlichter leuchteten auf und der Gummi wurde mit doppeltem Tempo gekaut.
    Als Mizzi spürte, daß die Kamera in ihre

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